Long live the Kassettli-Kultur!

Bar Berlin, 03.06.2015: Eine neue Band, die’s schon länger gibt, gab ihren Konzerteinstand auf heimatlichem Boden. So gesehen darf es als Bandpremiere gelten. Der Name: The Chamber Nihilists. Das Programm: eigenwillige Coverversionen in exquisitem Bühnendekor. Motto des Abends: Kennen Sie die Melodie?

It’s The White Stripes? It’s The Hives? No, it’s The Chamber Nihilists! Von Weitem wenigstens hätten die anderen vermutet werden können infolge Schwarz-Weiss-Gewandung. Zu Krawatte und adretter Kostümierung kommen Schminke, Maskerade, Hut und assortierte Perücken. Im Dekor sind neben obskurer Gerätschaft rote und grüne Lämpchen erkennbar. Die Instrumente: Gitarre, Mini-Schlagzeug, Tasten mit Sample-Möglichkeit, Klarinette, Kazoo, Aschenbecher, u.a. Die Säge singt nicht, sie ist Requisit bei «Jack The Ripper».

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Es fängt nicht auf der Bar-Berlin-Bühne an, dafür mit einem Marching Song, wenn die drei mit 2 Melodicas und 1 Seifenblasenpistole spielend einlaufen. Zu hören ist «Charlotte» (1995  1989) der welschen Industrialisten Young Gods. Es geht gleich weiter mit «Good Times» von den Animals. Die bereits zweite Perücke des Abends erinnert irgendwie an Samantha Fox («Touch Me»), was sich als richtig herausstellt. Bronski Beats «Run Away» «Smalltown Boy» kommt auch noch, bis eine pechschwarze Elvis-Tolle-Perücke auf den Kopf kommt für «Ring Of Fire». Wir erkennen die Rolling Stones und deren «Paint It Black», allerdings von The Chamber Nihilists als Coverversion der Coverversion von Caterina Caselli aus dem Originaljahr 1966 («Tutto nero»). Grosses Geschrammel gibt’s fast originalgetreu in Sachen Velvet Underground und «Waiting For My Man». Dann ist Pause. Ein Riesenbérét verweist auf das Französische in Form von «Et moi, et moi, et moi» (Jacques Dutronc), während die Samantha-Fox-Perücke wieder zum Einsatz kommt und bei David Bowies «Rock’n’Roll Suicide» eine passende Falle macht. Josef Hader hört es als Simon Brenner im aktuellen Film «Das ewige Leben», in der Bar Berlin kann man es live erleben: Eric Burdon & The Animals (schon wieder), «When I Was Young». Und so weiter: Edwyn Collins, The Troggs, Iggy Pop – Musik, die das Herz begehrt. Was ist es denn, was das Sedel-Trio bevorzugt zum Besten gibt? Erklärtermassen Sachen der 1960er- bis und mit 1990er-Jahre (nachher, so die etwas gewagte Behauptung, gäbe es eh «keine gute Musik mehr»). In reduzierter, dafür kompetent und originell vorgebrachter Art und Weise gibts nicht nur Sixties-Sounds zuhauf. Im Zugabenteil: «Einbrecher», eine Nummer von Hösli, auf dem Album «An Overdose Of Gloux» (1988) zu finden, aber auch bereits auf einem Kassettli, das Hösli Mitte der 1980er einspielte. Etwas von The Cure (die mit den Frisuren) und schliesslich «Silly Girl» (1981) von Television Personalities machen den würdigen Schluss eines stattlichen Cover-Reigens. Man könnte noch stundenlang weiterhören und -schauen. Wer oder was sind The Chamber Nihilists? Das sind zuerst einmal die drei, die sich während Jahren in ihrer Heimatstadt rar machten, um nun eben in der Stadt Premiere zu halten. Man hörte von ihnen vom Hörensagen, und einer, der es wissen muss, erklärte vor dem Konzert: «etwas zwischen Langue Erotique und The Tiger Lillies». Ganz gut getroffen, der Vergleich. Programm und Anspruch sind von ihnen selber so formuliert: «Die menschgewordene Rock’n’Roll Time Machine» nach der Losung «covering covered covers and other no go’s». Angetreten wird bewusst basslos. Namentlich zugange bei The Chamber Nihilists sind Rene Sagarin (Vorgesang, Klarinette, Kastagnetten, Georgel und Gesample), Dizzly Chamber (Gitarre, Stimme, Melodica, Kazoo), Nihils Spool (Mini-Drums, Melodica, Aschenbecher), bürgerlich R.S., M.V., N.B. (Namen der Redaktion bekannt). Eine gefreute Sache, unbedingt erlebenswert. Wers verpasst hat, hat bald Gelegenheit, das umwerfende Trio bzw. dessen hörenswerte Live-Erzeugnisse openair zu geniessen: Am 14. August spielen The Chamber Nihilists im Schüür-Garten.

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Halt, noch vergessen: Angekündigt war das Ganze ja als «Kassettentaufkonzert». Und in der Tat: Die Band hat die Bändli dabei, richtige Kassettli mit A- und B-Seite und total fünf Tracks drauf, 4-spurig per Kassettengerät aufgenommen. Titel des Produkts, pophistorisch ganz schön anspielungsreich in Bild und Text: «Never Mind The Beatles. Here’s The Chamber Nihilists». So lasset uns denn preisend ausrufen: Long live the Kassetli-Kultur! Und der Rock'n'Roll sowieso.