Kunst für naive Kleinbürger und Revolutionsromantiker

So betitelte der Marxist und Kunsthistoriker Konrad Farner nach ihrem persönlichen Zerwürfnis das Werk Hans Ernis. Von anderen wird er als Jahrhundertkünstler angesehen. Was man ihm lassen muss: Kein eidgenössischer Maler wurde von der offiziellen Schweiz so ambivalent behandelt und blieb sich trotzdem selbst so treu. Wie es war, gestern an der Vernissage der grossen Retrospektive, liest du hier.

Der Festakt findet für einmal nicht in der Ausstellung selber sondern im Luzerner Saal des KKL statt. Vom Bühnenboden ragt weisser Stoff gen Decke, von blauem Licht durchtränkt. Die hintere Wand dient als Projektionsfläche von Ernis Bildern, die mit den verschiedenen Darbietungen wechseln. Der Saal ist gut gefüllt, trotz des strahlenden Sonnenscheins und hochsommerlichen Temperaturen. Es ist ein würdiger Auftakt, dieser Festakt, mit gelungener musikalischer Untermalung und illustren Reden. Viel Prominenz ist anwesend, um sich vor Hans Erni zu verneigen. Sogar ein Bundesrat. Moritz Leuenberger hält eine geistreiche und humorvolle Rede mit einigen Gifteleien. So dankt er den Verantwortlichen für die Preisgestaltung – der Eintritt ist frei –, damit auch die kommen konnten, die 10 Prozent weniger zahlen wollen. Gelächter und Applaus. Darauf folgen die Worte des Direktors des Luzerner Kunstmuseums, Peter Fischer. Er erzählt von Begebenheiten aus Ernis Leben, schildert seinen künstlerischen Werdegang. Das ist zu Beginn alles sehr spannend, irgendwann wird es leider ein wenig langatmig. Dann nochmals Musik. Drei Fanfaren. Sehr modern, sehr schön anzuhören. Kaum ist der letzte Ton verklungen stürmen alt und jung – vor allem alt, denn junge Menschen sind leider, wie immer an solchen Anlässen, wenige auszumachen – an die Stehtische, draussen auf der Terrasse, wo der Apéro – sehr erlesener Wein – bereitsteht. Und wie ist die Ausstellung? Ich muss zugeben: Es fällt mir leichter einen oft angefeindeten Künstler zu loben, den ich bisher mit negativen Vorurteilen betrachtete und der mich letztendlich sehr positiv überrascht, als einen der mir von Anfang an egal ist und auch gute Kunst macht. Technisch ist Erni sackstark, und das wird an dieser Stelle auch niemand anzweifeln. Jedoch befällt mich während dem Durch-die-Gänge-schlendern ein dumpfes Gefühl, dass er das Meiste – einfach ein paar Jahre verspätet – von den Avantgardisten kopiert hat. Da sehen wir zum Beispiel ein Gemälde, das eben so gut ein Picasso sein könnte, da etwas das sehr nach Arp ausschaut, dort einen frühen Dali. Als er endlich zu seinem eigenen Stil findet, erinnert viel an realsozialistischen Kitsch. Jedoch verdammt gut gemalt. Das stärkste Bild – auch von der Aussagekraft her – der Ausstellung ist bestimmt der Ausschnitt seines 90-Meter-Wandbilds, das er 1939 für die Landesausstellung gemalt hat und die Schweiz irgendwie immer noch gut charakterisiert. Vergangenheit trifft auf Zukunft. Technische Revolutionen auf urchige Tradition. Alles in Allem zeigt die Werkschau ein spanender Werdegang eines interessanten Zeitgenossen, mit dem man sich auch politisch solidarisieren darf. Der ein erstaunlicher Techniker ist, jedoch teilweise etwas visionslos, zu wenig Eigenständig. Hans Erni bemerkte einst: «Sich treu bleiben kann nur, wer sich verändert.» Er tat es.