Kreativität und Strafe

Luzerner Theater, 26.-29.02.2020: Mit «Taylor AG» kommt das serielle Erzählen auf die Bühne. 29 unterschiedliche Aufführungen während sechs Wochen. Eine Reihe zwischen ausgeklügelter Serie und Improvisation. Mit Suchtpotential, trotz Ecken und Kanten.

 

(Bilder: Ingo Höhn)

 

Achtung: Spoilerwarnung für die erste Staffel von «Taylor AG»!

 

Drei einander unbekannte Menschen werden unter Sirenengeheul in einen abgeschotteten Raum geworfen. Es ist Tag 1 nach der Vollautomatisierung, irgendwann in der Zukunft. Sie wurden von der Taylor AG geholt, einer künstlichen Intelligenz, die der Menschheit alle Arbeit abgenommen hat und sie mit allem versorgt, was es braucht. Nun will diese KI aber auch etwas von der Menschheit: 30 originelle Ideen.

 

Es klingt nach Grössenwahn, was in der Box des Luzerner Theaters gespielt wird: An 29 Abenden 30 unterschiedliche Aufführungen in 6 Staffeln mit einer übergreifenden Handlung. Also 29 Premieren in sechs Wochen. Der Gedanke daran ist schwindelerregend. Die Idee dahinter ist, das Serienerlebnis, wie man es von Streaming-Diensten kennt, auf die Bühne zu bringen und sich gleichzeitig mit den Themen Kreativität und Zukunft der Arbeit auseinanderzusetzen. Zusätzlich wird die Serie dabei um ein Live-Element erweitert. Jeden Abend tritt ein Experte oder eine Expertin aus einem spezifischen Fachbereich auf die Bühne und verhilft den Schauspielenden in Echtzeit zu einer Idee. Der Regisseur Franz von Strolchen macht damit sich und das ganze Team in «Taylor AG» zu Versuchskaninchen. Wie die Figuren im Stück müssen auch die Menschen auf der Bühne im Akkord Originelles produzieren.

TaylorAG

Jeden Tag wird der Text – basierend auf insgesamt 500 Seiten von Autor Christian Winkler – frisch aufgenommen, und am Abend den Schauspielenden per Headset übermittelt. Das führt dazu, dass «Taylor AG» sich konstant auf einer Gratwanderung zwischen ausgeklügelter Serie und Improvisation befindet. Und darauf muss man sich auch einlassen. Die Serie ist keineswegs ohne Ecken und Kanten. Technische Probleme, Versprecher, Schwierigkeiten beim Expertengespräch kommen vor. All das verzeiht man diesem ambitionierten Projekt aber. Zu verbissen will man wissen, wie es weitergeht. Zu interessant ist es zu sehen, auf welche Ideen die Figuren (oder die Spielenden?) kommen. So wie eine Serie im besten Fall sein kann.

 

«Taylor AG» ist so konzipiert, dass es sich zwar fraglos lohnt, wirklich alle Folgen zu schauen, es aber auch möglich ist, an einem beliebigen Punkt einzusteigen. So gibt es neben den Einzeleintritten auch ein lohnendes Flatrate-Angebot. Ein kurzer Rückblick zu Beginn jeder Vorstellung sowie die regelmässige Betonung wichtiger Storyelemente machen den Quereinstieg leicht. Auch ohne Vorwissen ist man schnell drin in. Doch so gehen natürlich auch Nuancen verloren, die den Serientreuen auffallen. Vor allem die schrittweise Entwicklung der Charaktere bleibt jenen, die nur vereinzelt reinschauen, verborgen.

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Die drei Menschen, die in die Arbeitsgemeinschaft AG2602 geworfen wurden, sind Stefan (Lukas Darnstädt), Katrin (Antonia Meier) und Konni (André Willmund), völlig unterschiedliche Personen, ohne Gemeinsamkeiten. Schnell vermuten sie den Grund ihrer Gefangenschaft: Ideenfabrik für Taylor. Und dies, obwohl ihnen die künstliche Intelligenz nie etwas sagt. Als erstes erfinden sie einen narrativen Rahmen, was wohl etwas vom Menschlichsten überhaupt ist. Und damit – auch nur allzu menschlich – auch ihre Strafe gleich selber. Als ob Deadlines nicht schon Horror genug wären, glauben die drei, dass sie gefoltert werden, sollten sie die tägliche Abgabe ihrer Idee versäumen. Mit einem Zukunftsforscher entwickeln sie einen Namen für ihre Arbeitsgruppe («Knast der Freiheit»). Ein Urban Art Duo verhilft ihnen zu einem Logo (ein Vogel in einem Käfig mit einem pinken Gehirn). Mit einem Medienunternehmer erarbeiten sie ein Vision Statement («Wir erstreiten Freiheit für alle»). Und zum Staffelfinale wollen sie mit Hilfe eines Partyorganisators die beste Party schmeissen.

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Neben der Umsetzung der Ideen ist es die Interaktion zwischen den drei Figuren (und auch den drei Schauspielenden), die der Handlung ihre Tiefe gibt. Immer wieder erzählen die Figuren von ihrer Vergangenheit, ihren Traumas, Erinnerungen und Wünschen, finden in der Not zusammen, und scheinen dennoch immer kurz vor dem Auseinanderbrechen zu stehen. Stets zwischen Arbeitseifer, Todesangst und Langeweile. Über all dem ist die Anwesenheit der titelgebenden KI spürbar, die sich aber jeweils nur an das Publikum richtet. Gesprochen wird Taylor dabei von der Band Blind Butcher, die auch den Soundtrack zur Serie beisteuert. Nur schon das ist ein Besuch in die Box wert, denn das Duo versetzt das Publikum mit ihren Songs – täglich neu arrangiert und meist zu montage-artigen Szenen – mitten in ein Serien-Feeling.

 

Die erste Staffel endet mit einem Cliffhanger. Wie es sich für eine Serie gehört. Während er besten aller Partys fällt plötzlich ein blutiger Sack durch die Luke. Das Publikum kann nur erahnen, was sich darin befindet. Man vermutet einen abgetrennten Kopf. Wessen Kopf ist es? Eine Warnung von Taylor? Viele Fragen bleiben noch unbeantwortet. Wer wissen will, wie es weitergeht, muss sich im Gegensatz zu anderen Serien nicht ein Jahr lang gedulden. Die «Taylor AG» geht am 3. März in die zweite Staffel. Wer die erste Staffel verpasst hat, oder noch einmal ansehen will, kann das online tun. Man darf so oder so gespannt darauf sein, wie sich dieses Theaterprojekt in der Box weiterentwickelt.

 

Taylor S01E01 - Pilot from Franz von Strolchen on Vimeo.

 

Taylor AG

2. Staffel: DI 03. - SA 07. März

3. Staffel: DI 10. - SA 14. März

4. Staffel: DI 17. - SA 21. März

5. Staffel: DI 24. - SA 28. März

6. Staffel: DI 31. März - SA. 04. April

Luzerner Theater

 

Besetzung: Lukas Darnstädt, Antonia Meier, André Willmund, Blind Butcher, wechselnde Experten und Expertinnen; Inszenierung: Franz von Strolchen; Bühne: Jens Burde; Text: Christian Winkler