Ist dein Stück, willst was zu erzählen? – Nö.

Mullbau, 03./04.03.2017: Der Winter klingt langsam aus – was könnte da besser passen als ein begleitender Musikanlass? Gesagt, getan, im Mullbau fand am vergangenen Wochenende eine weitere Ausgabe des beliebten Winterfestivals statt – mit reichlich Improimposanz.

Seit einigen Tagen hängt es in den verschiedensten Räumlichkeiten und lockt die Freundinnen und Freunde der experimentellen Musik an: das Plakat des Mullbau Winterfestivals. Darauf Namen wie Carlo Costa, ein New Yorker Schlagzeuger, der vor knapp einem Jahr in der Krienser Kulturbrauerei ein unglaublich gutes Solokonzert gab. Oder die Kollaboration um Vincent Glanzmann (dr, voc), Urban Mäder (melodica, voc) und Pablo Vögtli (rap) (der zuerst durch Michael Fehr und dann MC Graeff ersetzt werden musste). Weitere Informationen zum Winterfestival-Freitag gibt es bei den Kolleginnen und Kollegen von Radio 3fach, die seit geraumer Zeit mit ihrer Sendung Samschtig-Jatz eine Bereicherung der Szene darstellen.

Mullbau Festival Plakat

Am Samstag eröffnete Hans-Peter Pfammatter den Abend. Der gebürtige Walliser berührte unter anderem dank einer Hommage an den kürzlich verstorbenen Meistermusiker Misha Mengelberg und begeisterte mit seiner Spielfreude. Mit dabei im Publikum sass zudem gleich seine ganze Familie – dies als Stichwort, denn überhaupt fand sich an diesem Wochenende eine eingeschworene Gemeinschaft im Mullbau ein; eine Familie unterschiedlichster Generationen, verbunden durch gute Musik. 

Pfammatter by Mullbau

Für mehr davon waren als zweiter Act Linda Vogel an der Harfe und Christian Weber am Kontrabass verantwortlich. Die Duo-Premiere liess zwei Saiteninstrumente aufeinandertreffen, welche trotz ihrer Unterschiedlichkeit Gemeinsamkeiten vereinen. Für beide braucht man beispielsweise einen riesigen Volvo-Kombi à la Vogel zum Transportieren, sie nutzen unterschiedliche Ebenen an Kraft und können verschiedenartig bespielt werden. Während Vogel Stifte oder stabartige Objekte nutzte, verliess sich Weber auf seinen Bogen, und natürlich kam viel Fingerpower zum Zuge. Dass beide Musiker_innen dabei Grenzen auszuloten versuchen, verstand sich von selbst. Man konnte das an jenem Abend beobachten oder aber im weltweiten Web. Als Beispiel jenes Video von Vogel, das neben ihrer Gesangskunst auch eine maschinelle Vorrichtung zeigt, welche das Bassspiel auf der Harfe übernimmt. Und der Bassist machte den Flamencotänzer am Viersaiter, siehe das Eingangsbild. In der Summe hatte das Konzert viele gute Phasen. Wenngleich manchmal ein wenig verhalten, ja fast scheu, gefielen die Pitch-Shift-Einlagen sowie überhaupt Expermentierlust von Vogel, und die Kraft Webers am Kontrabass ist ohnehin eine Wucht für sich. Laut, leise, laut, leise, viel, wenig, viel, wenig: eine passable Premiere.

VogelWeber by Mullbau

Bis anhin bestand eine wohlige Atmosphäre. Diese zu durchbrechen wäre eine genehme Einladung – das liessen sich Oliwood nicht zweimal sagen. Ein letztes «ich glaube, diese Band wird laut» flüsterte durchs Publikum nach dem Eingangsapplaus und dann krachte das Trio auch gleich los – hastiges Ohrstöpsel-hervorkramen bei der Zuhörerschaft. Oli Steidle preschte auf die Trommeln, Kalle Kalima legte mit Powerchord-Switching los und Frank Gratkowski blies sich die Lunge aus dem Leib. Doch trotz aller Wucht ging nie das Fünkchen Filigran verloren. So switchte das in Berlin ansässige Trio von Komponiertem zu freier Impro, von Hardcore zu Afro-Beat, von Witz zu Witz. Genau, Witz: Selten ergaben sich so lustige Zwischenansagen wie bei dieser Band. Steidle und Gratkowski keiften sich gegenseitig, während Wahlberliner Kalima als hilflos-ruhender Pol dazwischen stand; so könnte es wohl zwischen Klaus Dinger und Michael Rother von Neu! abgelaufen sein, dazwischen Conny Plank – ohne das jetzt auf eine musikalische Ebene bringen zu wollen. Auszüge: «Machen wir Sissi?» – «Jetzt eine Ballade? Das ist doch Quatsch». Später dann: «Wir müssen Sissi nicht spielen, wenn ihr nicht wollt» – «Das ist eben scheisse, wenn eine Band demokratisch ist. Die Gage geht komplett an mich heute Abend». Oder: «Frank, ist dein Stück, möchtest du was zu erzählen?» – «Nö.». Und aus dem Quarterback wurde kurzerhand der Quarterbäcker. Dazwischen wollte Gratkowski vom Publikum wissen, ob er mit oder ohne Mik Sax spielten sollte, Steidle kramte mitten im Stück einen Fetzen Noten aus dem Mäppchen, der dann immer wieder runterflatterte, dazu Erklärungen zu Tebartz van Elst alias Der diebische Elst und so weiter und so fort; so lustig war noch selten ein Konzert. 


Oliwood by Mullbau

Ob das ein Grund war, dass der Gig für einige Besucher als Frechheit empfunden wurde? Unverständlich. Da waren Weltklasse-Musiker am Werk. Was für eine Energie und Spielfreude. Gerade die (an diesem Abend spärlich anwesenden) HSLU - Musik-Gitarrist_innen können sich hierbei freuen auf den Nachfolger von Christy Doran: Kalle Kalima nutzte E-Bow und viele Pedals, wechselte dank diesen zwischen Bass- und Gitarrenfunktion, Stereokabel für Amp-Splitting, Loopgerät, Slidespiel, verschiedene Tunings, Flageoletts en masse: ein Farbenspiel an Vielseitigkeit vom Finnen.

Vielseitigkeit, das war einmal mehr das Motto von diesem Mullbau Winterfestival. Nik Mäder und Nils Fischer haben zusammen mit Marc Unternährer sowie dem ganzen Mullbau-Kollektiv einmal mehr einen gelungenen Anlass gezaubert. Der Sommer kann kommen.

Bilder: Mullbau

Das weitere Programm vom Mullbau: www.mullbau.ch