Irgendwas mit Menschen

Zooscope: «Das Gesetz der Interaktion von isolierten Punkten in einem definierten Feld, oder: Die Geschichte der Giraffe, die zu viel Angst macht». Soviel zum Titel des Stücks, der fortan aus Bequemlichkeitsgründen nur noch «der Titel» (oder auf das Stück bezogen «das Stück») genannt werden soll. Klingt irgendwie gesucht absurd und prätentiös, nicht? Aber nur, bis man das wunderbar komische, sympathische und unvergleichlich unprätentiöse Stück gesehen hat. Die erste von zwei Aufführungen am Mittwoch im Südpol.

(Ist es heute Donnerstag und Sie haben vor, sich Zooscope am Abend anzusehen, dann ist der Artikel hier für Sie zu Ende. Sonst ruinieren Sie sich die ganze Freude an einer tollen Aufführung. Und dafür will ich dann nicht geradezustehen haben. So.) Herrje, was soll man über dieses Stück, das keine Handlung in dem Sinne hat, sondern aus viel Herumgehüpfe und «tssssch»-Lauten besteht, nur schreiben? Wo beginnen? Vielleicht mit der Erkenntnis, die einen plötzlich erschüttert, sich als grosser Verabscheuer von Publikumseinbindung soeben in eine Aufführung gesetzt zu haben, die das Wort Interaktion im Titel trägt. Aber halt, Befürchtungen unbegründet, wie sich schnell zeigt, als die Protagonisten Katy Hernan und Adrien Rupp auf die Bühne kommen. Die beiden Lausanner – entsprechend charmant gebrochen ist das Deutsch – ziehen mit Klebeband zwei Linien auf den Boden. Die Grenze, die zumindest physisch nicht überschritten werden soll. Die Interaktion bleibt also verbal. Dafür konsequent. Was am ehesten einem roten Faden ähnelt, sind die Fragen nach dem Warum und dem Wie des im Titel genannten Gesetzes. Unter Verwendung eines Hellraumprojektors wird zum Beispiel physikalisch an die Sache herangegangen: Was tut ein Elektron, wenn es alleine bleibt und so sein Atom destabilisiert? Die Antwort dann hinreissend dargestellt, wenn Hernan und Rupp jeweils auf einem Bein aufeinander zuhüpfen, um dann ein gemeinsames Bein zu bilden. Nach weiteren herrlich doofen Exkursen über Dinge wie «sich selber hören» und Feng Shui wird es dann endgültig abgedreht, als man anfängt, sich an die Konventionen des Theaters zu halten. Erst dann wird das Licht ausgeschaltet und das Publikum sitzt im Dunkeln. Es darf dann auch nicht mehr angeschaut werden und, ganz wichtig: Das Stück braucht einen Anfang, einen Mittelteil und einen Schluss. Also wird zu «Time of my life» und unter gekonnter Verwendung des Hellraumprojektors ein geradezu filmisches Intro inszeniert. Und dann ein Schluss. Und dann gibt es noch einen Mittelteil. Und dann gibt es eine Pause. Und zwar – das ist schlichtweg ein grossartiger Einfall – eine gemeinsame auf der Bühne. Also klebt man flugs ein paar Felder ab, etwa eine Leseecke, eines für Leute, die gerne Kontakte knüpfen würden oder eine Raucherecke (schliesslich ist die Bühne der einzige Ort im Theater, wo geraucht werden darf). Dazu werden Champagner und Knabberein angeboten, bezahlt von der Kollekte der letzten Aufführung. Am Donnerstag wird das Zeugs dann von den Besuchern vom Mittwoch bezahlt sein. Dann kann man ein bisschen plaudern, sich die Beine vertreten oder die kurzerhand installierte Campingtoilette benutzen. Schöner kann man das Publikum nicht heranholen. Nach der Pause gibt es dann unter anderem noch eine unfassbar komische Meditation über Müesli. Es ist schlichtweg unmöglich, sich dem Charme dieser herrlich zerstreuten, lockeren, unbeschwerten Aufführung – die vom Kollektiv Zooscope übrigens diesen Sommer als Artist(s) in Residence im Südpol erarbeitet wurde – zu entziehen. Ganz, ganz super, das Stück.