Fussball und Kultur

In vier Tagen ist die Welt ein Tollhaus: Das WM-Eröffnungsspiel Südafrika-Mexiko wird angepfiffen. Public Viewings soweit das Auge reicht, die Strassen übervoll und Hupkonzerte Abend für Abend. In der Zwischenbühne gab's am Samstag schon mal einen Vorgeschmack, der's sogar Fussballmuffel Haller warm ums Herz werden liess.

Der erste laue Sommerabend seit langem. Vor der Zwischenbühne stehen Tische und Bänke, ein Buffet mit Salaten, Wurst und Brot. In der Beiz nebenan wird das Spiel Schweiz-Italien (1:1) übertragen, das nach der Pleite am Dienstag zuvor beinahe wie ein Sieg aufgenommen wird. Draussen ziehen Wolken auf, drinnen blitzen die Scheinwerfer. Wie immer sind Bühne und Auditorium liebevollst dekoriert. Die kurzfristig für eine andere Band eingesprungenen 7 Dollar Taxi spielen in verkleinerten Formation (Chregi hatte ein «Engagement an der Uni ...») «We are the Champions», das stimmlich natürlich nimmer ans Original rankommt, jedoch dank der kreativen Umarrangierung entrostet und herrlich frisch und arschkickend daherkommt. Der Journalist Hans Graber moderiert (bei jedem Auftritt in einem neuen Dress, das stets eine höhere Liga repräsentiert). Immer wieder unterbrochen wird er von Schauspieler Wolfram Schneider-Lastin, der einen verschrobenen DDR-Junioren-Trainer mimt, der in Monologe über seinen Fussballalltag ausschweift. Er spielt die Rolle, die stets gefährlich nahe an den Linien zum «Out!» rennt, mit Inbrunst und Schnauzer. Lior Etters plötzlicher Ausstieg aus dem Fussballbusiness gab zu reden. «Wie kann man nur?», fragten sich viele, die alles gegeben hätten, an seiner Stelle spielen zu können. Er meint dazu: Als ihm klar wurde, dass diese Welt nicht seine Zukunft ist, sei er keine Minute länger bereit zum Kicken gewesen. Irgendwie integer. Spricht führ ihn. In der vom Moderator des Abends geleiteten Diskussion nehmen auch Christian Brand (Ex-FCL, Ex-SCK) und Pascal Claude (Fussball-Kolumnist) teil. Brand ist heute Trainer, Claude besitzt eine der grössten Vinyl-Sammlungen von Fussballsongs weltweit. Es gibt ein paar interessante Thesen: «Handball ist der intellektuellere Fussball» oder «es gibt auch intelligente Fussballspieler» oder «die Linke in der Schweiz entdeckte den Fussball Ende der 80er-Jahre, da sie, nachdem ihre Welt zusammengebrochen ist, neue Hobbys finden musste». All in all ist man sich einig, dass überhaupt nichts Intellektuelles im Fussball ist, dass es einfach Spass macht zum Spielen und Schauen und dass allgemein viel zu viel reininterpretiert wird. Das Fazit harmonisiert mit den Eindrücken aus dem vorher gezeigten Monty-Phyton-Sketch der Philosophie-WM. Jetzt nochmal 7 Dollar Taxi mit «7 Nation Army» und noch einem Song, den ich vergessen habe, bevor sie sich gen Schüür aufmachen. Halbzeit. Nach dem Anpfiff folgt bald der Clip zum «faulsten WM-Song aller Zeiten»: «My Buildings», die Hymne der Zwischenbühne. Getextet von Christoph Fellmann, eingespielt von Rudi Hayden & the Southafrican Kraut Orchestra, wird sie sich zum Kult-Song all jener mausern, die lieber grillen als spielen. Definitiv um Ligen beser als: Siehe da. Kommt nicht ganz ran an: Siehe da. Nun dreht «Der Chor» (Leitung: Daniela Portmann) gehörig auf, der Fangesänge musikalisch macht und auf der Bühne im zweiten Stock derart abgeht, dass sich die Balken sprichwörtlich biegen und das Publikum darunter scheu nach vorne drängt. Steilpass an den «gesunden Menschenverstand». So wurde der Verlag angekündigt, wo das schmale Bändchen mit Dani Wylers Reallyrik aus dem Stadion, «Gelb gegen Dzemaili», rausgekommen ist. Wyler selbst ist trotz einem, wie Kulturteil aus gut unterrichteten Quellen erfuhr, eher unsportlichen Abend zuvor, in Topform. Uuuuund Elfmeter. Der Bewegungskünstler Aurélien inszeniert einen Penalty, zusammen mit zwei Helferinnen, in Zeitlupevonzeitlupentempo. Der Atem steht still, der Ball bewegt sich auf die Hände der Torwartin zu. Uuuuund ... Darauf nochmals der Chor mit einem grandiosen Finale - das IST Gianna Nannini – oder? Und einer scheuen deutschen Flagge, gehisst von einem Gitarristen, dessen Name der Redaktion bekannt ist. What a night! Der Clip zum faulsten WM-Song aller Zeiten: [youtube]http://www.youtube.com/watch?v=v_a7mWgeek4[/youtube]