Für eine gute Weile

Neubad Luzern, 1./2.9.2017: Luzerns Zwischennutzungsleuchtturm ist Ort des zweitägigen Forums «Temporär», bei dem es – genau – um Fragen rund um Zwischennutzungen geht. Informativ, anregend in Präsentationen und Diskussionen: wie geht es, was gibt es, wo liegen die Probleme?

Input-Vortrag Nummer 1 widmet sich Künstlerischem. Marta Kwiatkowski Schenk, die ihr Geld im Trendforschungsinstitut GDI verdient, kuratiert ohne Entlöhnung das Bernee Projekt «Go West». Mit Interventionen wird der öffentliche Raum («sollte ein Raum für alle sein») der Parkanlage Brünnengut in Bern-Bümpliz bespielt, mit, wie die Referentin sagt, «eher ephemeren Projekten», als wechselnden künstlerischen Interventionen, «Flüchtigem». Ziel war und ist, «ein chaotisch wirkendes Quartierbild mit Kunstinterventionen kulturell zu beleben». Konkret etwa mit ausgewechselten Parkband-Wappen oder Düfte-Gewächshäusern. Demnächst ist das Projekt («Über)Realität» an der Reihe, bei dem das Luzerner Künstlergespann Wittmer&König mit einer Bauvisier-Arbeit an der Berner Kunsthalle zum Zug kommt. Attila Wittmer, im Publikum, erklärt kurz die aktuelle Intervention just über den Köpfen der Forum-Teilnehmer: Auf dem Neubad-Dach sind Wittmer&König bereits aktiv geworden mit einer sogenannten Bauvisier-Arbeit (auch bekannt als Baugespann-Stangen; hier im Sinne von künstlerischem «Fake»). Wittmer erklärt zum gedanklichen Hintergrund, dass das Neubad in Sachen Zwischennutzung einen «Leuchtturm» darstellt (das Projekt entstand im Rahmen von «FKK – Frische Kunst und Kultur im Neubad»).

In Bern wird mit äusserst bescheidenen Budgets operiert. Ein Stein des Anstosses, nicht nur, dass gratis kuratorische Arbeit geleistet wird, auch die Honorare für die ausführenden Kunstschaffenden könnten angemessen sind und zum Beispiel nicht gleich für Material-/Produktionskosten verwendet werden. Ich notiere mir: «Kunst muss kosten können.»

Der Basler Geograf Matthias Bürgin vom Büro metis gibt eine umsichtige Einführung in ein komplexes Thema, das eben «Zwischennutzung» heisst. Hier erfährt man Zusammenhänge, Definitionen, Übersichten, Zahlen. Ein unbedingt lohnenswertes ausführliches Dossier zur Sache findet sich hier.

Schön das Zitat, das auf einer Präsentationsfolio erscheint. Es stammt von Jane Jacobs, aus dem Jahr 1961: «Neue Ideen brauchen alte Gebäude.» Von Bürgin erfährt man, dass bei einer jüngeren Untersuchung die sogenannten Leerstände in der Schweiz auf 2000–3000 eben leerstehende Gebäude und Brachen beziffert werden. Mit anderen Worten: «Das Potenzial, leere Gebäude zu nutzen, ist riesig.» Bürgin stellt unter anderem fest: «Zwischennutzung ist eine temporäre Inwertsetzung.» Klar ist, dass sich bei einer Zwischennutzung als Basisnutzen «eine Ertragsverbesserung gegenüber dem Leerstand» ergibt oder auch, nicht zuletzt, «die Sicherung von Arbeitsplätzen». Als Zusatznutzen nennt Bürgin unter anderem «Nischen für kulturelle Entfaltung und Produktion» oder «Potenzial für neue kulturelle Trends». Ein Phänomen, das im Zusammenhang mit Zwischennutzungen beobachtet werden kann: die «Verstetigung». Das ist dann, wenn das Temporäre ins Definitive verwandelt wird, etwa auf eine spätere Umnutzung verzichtet wird, sondern es bleiben kann, wie es zwischengenutzt wird. In einer anschaulichen Auswahl-Umschau auf frühere und bestehende Beispiele von Schweizer Zwischennutzungen zeigt Bürgin die Fülle und Vielfalt, wie es sie gab und gibt. In beiden Bereichen: «extrovertiert» und «introvertiert», also Zwischennutzungsprojekten mit öffentlicher Ausstrahlung beziehungsweise ohne eine solche. Mischformen sind freilich möglich, das Neubad wäre gerade ein solcher Fall: öffentlichkeitsorientiert zum einen, dazu «introviertierte» Anteile (Ateliers, Büros Kreativwirtschaft u.ä.).

znMarco Di Nardo (Verein Kombo, Zürich) moderiert die Gesprächsrunde «So geht Zwischennutzung» mit Vertreterinnen von auswärtigen Zwischennutzungsprojekten und mit Dominic Chenaux als Co-Geschäftsführer vom Gastgeberhaus Neubad. «Lattich» in St. Gallen ist der Versuch, auf dem Güterbahnhofareal «ein temporäres Quartier zu entwickeln». In der Alten Feuerwehr Viktoria in Bern sind, bis Januar 2019, 27 Projekte beheimatet. Im aargauischen Baden ist bereits eine zweite Generation dran: Hier besteht die Chance, das zentral gelegene ehemalige Kino Royal vom Besitzer für 20 Jahre zu mieten, zu einem marktüblichen Preis. Unterschiedliche Modelle sind möglich, eine einfache Miete oder ein sogenannter Gebrauchsleihvertrag (wie im Neubad, Zurverfügungstellung der Liegenschaft ohne weitere Subventionsmöglichkeit).

Allen Zwischennutzungsprojekten als Problem gemein ist die Planungs(un)sicherheit: Auf wie lange Frist können Inhalte, Programme im Voraus bestimmt werden, welche baulichen/infrastrukturellen Investitionen sind noch möglich? Wie bringt man die beiden zusammen, das kreative Handeln und die nötige Wirtschaftlichkeit? Dominic Chenaux sagt es in der Runde so angesichts eines Komplexes von akuten und kommenden Problemen: «Wir definieren Probleme inzwischen nicht als Probleme, sondern als Herausforderungen.»

In der Talk-Runde wird auch darauf aufmerksam gemacht, wie der Aufwand für Verhandlungen mit Behörden Zeit verschlingt, die man für inhaltliche Arbeit nutzen könnte. Überhaupt ein vielleicht frommer Wunsch: Vereinfachung in Verfahren. Wobei grundsätzliches Wohlwollen von Politik- und behördlicher Seite durchaus  auszumachen ist. Ein Pionier des «Lattich»-Projekts forderte in einem Ungeduld-Votum «meh Zack», also dass man von Zwischennutzungsseite aus manchmal zielführend forscher vorwärts machen müsse bei Behördenkontakten. Wenns nützt.

Zwischennutzung, das ist Gutes, wenn auch nicht für immer, so immerhin für eine gute Weile.

Schaffen wir zwei, drei, viele Zwischennutzungen.