«Es ist ein Tier im Saal»

Eigentlich sollte die Versteigerungs-Veranstaltung «Bye Bye Buy – Nostalgie und Take-Away» über die Bühne gehen. Doch ein entlaufenes Tier legt alles lahm. Und gibt im Kleintheater Anlass für das grossartige neue Mehrpersonensolo von Joachim Rittmeyer mit dem Titel «Lockstoff». Höchstnote.

Nach der Pause kommt er, wiederauferstanden: Hanspeter Brauchle im vergilbten gelblichen Lismer, der St. Galler Knorzi, Paradefigur von Joachim Rittmeyer, hat seinen Auftritt als wissenschaftlicher Assistent, der von Rucksackpackstress geplagt ist und seine Ausführungen zu unterschiedlichen Pack-Methoden zum Besten gibt. Vor Ort ist er nun, um die Infrarotkamera zu montieren, wobei ihm die mit Örgeli vertonte Gebrauchsanweisung ab Discman helfen soll. Was ist geschehen? «Ein Tier ist im Saal.» Ein überaus seltenes, exotisches, aus Afrika stammend, das für zwei Beobachtungswochen an ein Schweizer Labor ausgeliehen werden sollte. Wenn es nun nicht, ausgerechnet hier, ausgebüxt wäre. Es gilt, das Viech namens NM in die mitgeschleppte Kiste zu locken. Der Bündner Wissenschaftler Benno Potzi ist ihm hinterher, frisch im Smoking von einem Fest kommend, wo er sein Nümmerli nun nicht vortragen kann (er tut es dann für uns im Saal). Auch Jovan Nabo, aus irgendeinem östlichen Europaland stammend, ist da. Er amtet als Pausenpianist mit nostalgischen Barjazz-Melodien. Auch er hat in Abschweifungen Geschichten zu erzählen, wie die andern fungiert er als Sinnierer und Räsonierer – über das Banale, in dem das Universale steckt. Die köstliche Anekdote mit dem Altpapierbündel gehört in sein Repertoire, ebenso die Reminiszenz an den einstigen Sprachkurs («wegen höherer Gewalt = Genitiv»!). «Lockstoff» ist, nach der Ab- und Ausschweifungsmethode, die sich von der einen oder anderen Bühnenfigur ergibt, voller Geschichten und Reflexionen. Es geht um das richtige Geschirrspüler-Einträumen wie um die kulturhistorische Betrachtung der verschwundenen Gesten («Im Wesentlichen haben wir die Kreisbewegung überwunden. Nur die Erde ist noch ungelöst.»). Oder: Wer wann isst (Köche, Musiker – «Gehenkte essen vorher.»). Warum Tiere nicht lachen (dürfen); sie würden es eigentlich wollen. Objekte auf Podesten geben den Anstoss für Geschichten. Es sind Versteigerungsstücke dieser speziellen Veranstaltung, eben irgendwas Nostalgisches. Wo sich Potzi dann daran erinnert, wie – für 800 Franken! – seine Frau einst die Lesebrille eines Ex-Bundesrates ersteigerte. Am Schluss kommen dann via Beamer die aufschlussreichen Infrarot-Aufnahmen. «Skurril» ist manchmal nur der Vorname dessen, was sich (und wie sich etwas) entspinnt in diesem Programm. In die Kategorie «Kabarett» passt das alles schon lange nicht mehr, was der wandlungsfähige Rittmeyer da auf höchstem Komik-Niveau treibt. Es ist schlicht und ergreifend einfach Rittmeyer.

Joachim Rittmeyer: «Lockstoff», Kleintheater Luzern, bis Samstag, 7. Januar, jeweils 20.00 «Philosophische Zweierkiste»; Joachim Rittmeyer im Gespräch mit Roland Neyerlin, 11. Januar, 20.00, Kleintheater (Thema: «Feste und Festtage»)