«Es fehlt die Kraft der Idee» – Zweite Diskussion zur Salle modulable im Südpol

Pirelli tat es sich erneut an: das öffentliche Diskutieren um den modulablen Nobelsaal. Konkretisiert hat sich genau nichts.

Seit die Idee eines neuen Tempels durch die Stadt geistert, wundert man sich, wie wenig darüber diskutiert wird, zumindest öffentlich. Das Monopolblatt beschränkte sich lange Zeit darauf, nicht repräsentative Abstimmungen über mögliche Standorte durchzuführen, geraume Weil wurde der Bootshafen neben der Ufschötti favorisiert. Wenngleich nur in der Zeitung und, aktuell, durch die Chefin der Musikhochschule, welcher der Weg nach Emmenbrücke zu weit ist.

In die Bresche springt die IG Kultur, die am Dienstagabend zur zweiten Diskussion über das Ding aufbot. Wir entsinnen uns: Der erste Anlass Anfang Dezember missglückte einigermassen, zu schwach war die Gesprächsführung, zu gross das Podium. Aktuell hat man nun eine andere Form gewählt, sie nennt sich «World Café», weshalb auch immer, und bindet alle Teilnehmenden viel direkter ein. Konkret hat man in der Südpol-Halle drei grosse Tische aufgebaut, an denen kopfendig jeweils zwei Fachmenschen standen, während sich das Publikum darum versammelte. Viele bunte Stifte lagen bereit, mit denen man auf die Papiertischtücher hätte schreiben können, der Sinn hat sich mir nicht ganz erschlossen, aber an sich eine hübsche Idee. Jeweils eine halbe Stunde lang diskutierte man an den einzelnen Tischen zu verschiedenen Themenkreisen («Was folgt auf die Kultur?», «Tabubruch», «Lernen vom KKL?»), dann wechselte man in einer Art geriatrischem Speed Dating den Tisch und das Thema. Auch das an sich eine hübsche Idee – allein, die Tische waren tatsächlich gross (rund je 40 Personen versammelten sich darum herum), und sie standen so nahe beieinander, dass, wenn immer eineR am Nebentisch die Stimme etwas erhob, man dem Gespräch am eigenen Tisch kaum mehr zu folgen vermochte. Schwierig für den Rock-’n’-Roll-bedingt einigermassen harthörigen Berichterstatter – hingegen mit Rock ’n’ Roll hatte die Mehrzahl der Anwesenden auch nichts am Hut. Das Durchschnittsalter war hoch, die «Alternativkultur» fehlte weiträumig. Dafür sah man auffällig viele PolitikerInnen und solche, die man dafür hielt – ach, wenn man sich doch nur die Gesichter merken könnte.

Wie man der NLZ am Dienstag hat entnehmen können, werden derzeit vier Standorte abgeklärt: Motorboothafen, Inseli, Lido und Emmenweid. Am Tisch «Was folgt auf die Kultur?» mit Valentin Groebner und Marc Syfrig diskutierte man das Drumherum, man sprach vom Umfeld, von den offenbar notwendigen noblen Bars und Restaurants; davon, ob zum Beispiel der Bau des Vorzeigedings in der Industriebrache zu deren städtebaulichen Entwicklung beitragen würde. Täte er – oder auch nicht. Architekt Syfrig favorisierte den Hafen und das Inseli, die ihn ganz abscheulich dünken in der jetzigen Form, fand schliesslich aber auch das Lido noch interessant – worauf einer der Umstehenden Gisela Widmer zitierte, die offenbar gemeint hat, sie wolle ihren Kaffee vor der Oper aber dann nicht im Tennisklubhaus trinken müssen. Auf Versuche, die Diskussion auf allgemeine Themen der urbanen Entwicklung auszuweiten, wie zum Beispiel die Reduktion der Stadt auf ein Disneyland für Gutbetuchte, in dem günstiger Wohnraum schneller vernichtet wird, als man ausdiskutieren kann, weshalb die BefürworterInnen «Modulable», obgleich simples nachgestelltes französisches Adjektiv, immer grossschreiben wollen, ging man nicht ein, das sei kein Luzern-spezifisches Phänomen. Als ob es deshalb weniger aktuell wäre! Privatbankier Reichmuth, Chef der Rütli-Stiftung, die für den Saal errichtet wurde, hat unlängst im Monopolblatt geäussert, die Stadt Luzern müsse wie jedes Unternehmen in das Wachstum investieren, sonst gehe sie unter – das grundlegende Missverständnis (eine Stadt ist kein Unternehmen!) wurde nicht hinterfragt. Und auch im Südpol blieb die Diskussion darüber aus.

Am Tisch «Tabubruch» mit Monika Jauch-Stolz und Colette Peter fielen durchaus interessante Voten. Ein junger Herr fragte schüüch, wie man denn ernsthaft über diesen Saal mit seinen astronomischen Unterhaltskosten (Pereira zum Beispiel schätzt sie offenbar auf mindestens 60 Millionen per annum) diskutieren könne, wenn der Musikschule gleichzeitig die Gelder gestrichen würden und sich viele Familien die musikalische Grundbildung ihres Nachwuchses nicht mehr leisten könnten. An sich eine spannende Frage – allein, der Herr war eben jung, also ging man nicht darauf ein. Zumindest in den Augen der vehementen Befürworter ein Tabubruch war die weniger schüüch gestellte Frage, ob man nicht vielleicht erst die Inhalte des Luxustempels diskutieren sollte, bevor man sich auf den Standort festlege – «Quatsch, das ist Sache der Verantwortlichen!» –, und wie es möglich sei, dass man just auf das erste Podiumsgespräch hin plötzlich auch Sprechtheater und Tanz in die Salle integrieren konnte (das legendäre Szenario 3), und dies zu quasi identischen Kosten – «Sprechtheater wird stattfinden! ‹Eine Nacht in Venedig› und ‹Der Vogelhändler› sind nicht elitär!»

Sind sie tatsächlich nicht, aber auch nicht Sprechtheater, sondern Operetten. Womit das Niveau geklärt ist und wir uns getrost dem dritten Tisch zuwenden können: «Lernen vom KKL?» mit David Roth und Thomas Stadelmann. Hier ging es, wie nicht anders zu erwarten, um den einseitig gekündigten Kulturkompromiss: Die Boa wurde geschlachtet, der Schüür droht nach 2020 wegen des Südzubringers das gleiche Schicksal, der Immobilientycoon wütet weiter und vernichtet grad das Fourmi und überhaupt alles auf dem Frigorex-Areal und, und, und … alles ganz schlimm. Man stritt kurz darüber, ob die Versprechen an die Vereine ihre Präsenz im KKL betreffend eingehalten worden seien – Sie wurden. Sie wurden nicht. –, streifte am Rand die Kostenüberschreitungen bei Bau und Betrieb («Wenn ich mir einen Mantel kaufe, kommt das auch immer teurer»), fand dann, dass bei der Salle die «Kraft der Idee» fehle im Vergleich zum KKL, weil man immer noch nichts zu den Inhalten sagen könne, überlegte sich kurz, ob sich die Salle und das KKL nicht konkurrenzierten – dann überfiel mich die Erschöpfung, und ich rettete mich an die Bar. Natürlich entkam man auch dort der allgemeinen Diskutiererei nicht, aber man konnte wenigstens rauchen.

Fazit: Das neue Prunkteil bleibt schwammig wie eh und je. Niemand scheint auch nur den Ansatz eines Plans zu haben, was man dort denn genau machen könnte und wollte, weder Standort noch Finanzierung sind näher abgeklärt, und was aus all den weniger gut Betuchten wird hier und anderswo, die doch integraler Bestandteil sind einer jeden Stadt und somit auch der urbanen Entwicklung, interessiert keinen Deut. Immerhin eines habe ich gelernt, mit einigem Erstaunen: Für die Befürworter der Salle modulable (vielleicht wollen sie die Grossschreibung ja, weil «SM» als Akronym eine eindeutigere Konnotation hat als «Sm»?) gehört der Südpol zur «Alternativkultur». Nun, das ist zu diskutieren – und zwar am Mittwoch, 3. Februar, ab 19 Uhr im Anker.

Die IG Kultur organisiert noch ein drittes Diskutierdings zur Salle, und zwar am Montag, 8. März, wieder im Südpol. Dort soll es spezifisch um das Theater gehen. Vielleicht wird dann endlich auf die Frage eingegangen, wie man den Saal mit seiner sicher bahnbrechenden Technik tatsächlich bespielen kann, ohne eine identisch funktionierende Probelokalität zu schaffen. An allen Stadttheatern wird mit einigermassen bescheidenem Bühnenbild gearbeitet, weil man die Kulissen in kürzester Zeit an- und abbauen können muss, schliesslich findet jeden Abend eine andere Aufführung statt. Wie soll das aber in dieser neuen Vielzweckhalle mit ihrem beliebig gestaltbaren Bühnen- und Publikumsraum sowie ihrer schieren Grösse von sich gehen? Wenn nicht so, dass man eben in einem separaten, identischen Probenbau alles vorbereitet, dann zwei Wochen Endproben in der eigentlichen Salle durchführt, um endlich zwangsläufig mindestens zwei Monate lang das gleiche Stück aufzuführen? Und zwar natürlich jedes Mal vor vollen Rängen? Und wird das dann ein Stück von Wyrypajew sein – oder nicht viel mehr «Mamma Mia»? Und wird aus dem betulichen Haus zur Reuss schlusslich tatsächlich ein Volkshaus, wie von der IKU Boa vorgeschlagen? Fragen über Fragen – jetzt müssten endlich Antworten her.