Ein Ausschnitt der Wirklichkeit

Kleintheater Luzern, 03.12.2014: Rear Window 2.0, Text und Film, analog und digital, Wirklichkeit und ein Ausschnitt davon. Reeto von Gunten und «i».

Reeto von Gunten kennt man. Aus dem Radio, vielleicht von seinen Diashows, oder von seinen Lesungen. Wie er selbst meint, geht es da eher lustig zu und her, und auch gestern, da konnte man lachen, einfach «ned ganz bis före. S blibt chli im Hals stecke».

Voll daneben Zuerst findet man es nur skurril. Bis man sich selbst entdeckt, in der Geschichte von Reeto von Gunten. Es geht um einen Mann, der sich «i» nennt und gefangen ist im Worldwideweb: er hat sich zu Hause so eingerichtet, dass er nicht mehr raus muss. Er sitzt am Tisch, bestellt sich da online, was er braucht, schreibt Blogs und macht Filmchen. Auf die Perspektive kommt es an. Neigt er den Kopf um genau 45,1 Grad, sieht er den Bildschirm, andersherum aus dem Fenster. Und dort die Nachbarn. Er stalkt die Nachbarn und meint zu wissen, wer sie sind. Spekuliert wild und teilweise voll daneben. Aus einem Aussichtsturm wird ein Schiessstand, aus einem Brunch eine Vergiftungs-Attacke. Seine Nachbarn sind Studenten, die mit Schlaf Geld verdienen, eine Kosmetik-Verkäuferin, die Landrover-Mamis verhunzt und ein Schwuler, der es anders herum probiert hat. «i» ist alleine, eingeschlossen, ohne analoge Einflüsse, nur digitale Inputs bestimmen sein Leben. Und Reeto von Gunten erzählt dies gelungen. Dadurch, dass man «i» und die Nachbarn kennen lernt, wird einem bewusst, wie man sich im Netz des digitalen Zeitalters die Welt selbst zurechtzimmern kann, sie nur aus einem kleinen Ausschnitt heraus betrachtet und wie viel Wahrheit dabei verloren geht. Man sieht seine Einsamkeit, seine Angst, seine skurrile Welt, die auf unangenehme Art der unseren geicht. Es stimmt. Man kann schon lachen, einfach ned ganz bis före. Es blibt chli stecke.

Reduktion Seine Show ist intelligent, viel Wortwitz steckt in den Zeilen und man kauft ihm seine Geschichte ab. Denn es geht mal nicht um die Digital Natives, von denen sich so viele abgrenzen können, es geht nicht um die Jungen, die mal wieder nur rumtöggeled, nein, es geht um uns alle. Und um die digitale Welt, die wir uns zurechtzimmern, das Stalking-Verhalten, das sich einbürgert, und darum, dass wir alle unglaublich viele Infos in unser System reinkriegen. Irgendwann können wir so gar nichts mehr abspeichern. Wie recht du hast, Reeto. Die Show ist reduziert. Er sitzt und liest. Und nebenan läuft der Film, da sieht man einen Ausschnitt eines Zimmers und er, wie er sitzt und liest, schreibt, und kurz auf Inspirationssuche umherirrt. Die Show ist reduziert, wie wir unsere Welt auf einen kleinen Bildschirm begrenzen. Kurz gesagt: Ein toller Abend mit einer intelligenten, tiefgründigen Geschichte, die mit viel Witz erzählt wurde. Die Show ist vielleicht etwas lang geworden. Oder wir hatten dasselbe Problem wie die Hauptfigur: Nomo Phobie. No – mobile – Phobie. Beeindruckend war auch, mit wie vielen verschiedenen jungen Künstlern er zusammengearbeitet hat. Leider findet man die tollen Leute auf seiner Website nicht. Und leider war es im Kleintheater so dunkel, dass ich meine Notizen nicht mehr lesen kann. Aber es waren viele spannende, gute, junge Leute. Ganz bestimmt. Am Schluss gibt er uns noch ein paar Tipps für den Alltagsgebrauch auf den Weg: Geht raus und probiert einfach. Versucht es mit Liebe, das ist schwierig, aber Freundlichkeit ist schon mal ein Anfang.  

Weitere Aufführungen: Alle Ausverkauft. Aber es gibt ja vielleicht eine Verlängerung oder weitere spannende Projekte. Also zelebriert das Stalking auf: reetovongunten.com