Dies ist ein Bettelbrief

Pandemiemüde, verzweifelt, wütend und hoch motiviert: So schreiben wir an Sie, liebe Leserinnen und Leser. Werden Sie handeln?

Titelbild: Christof Schürpf (Jeanne Jacob, Mirjam Ayla Zürcher, «FAQ», Video-Loop 7 min 2020. Die dunkle Seite des Löwen – The dark side of the lion, Kunsthalle Luzern)
Restliche Bilder: Mirjam Steffen, ein Jahresrückblick in Bild

Oben anfangen und nicht aufhören zu schreiben, bis ich fertig bin: Damit fahre ich meistens ganz gut. Doch jetzt frage ich mich: Hätte im ersten Satz nicht schon Corona stehen sollen? Hätte da nicht stehen sollen, dass wir Ihre Hilfe brauchen? Denn Ihre Hilfe brauchen wir, liebe Leserinnen und Leser, aber mit Jammern und Betteln anfangen widerstrebt mir. Ich will das nicht tun, weil im Moment so viele um ihr Leben kämpfen, um ihre Existenz, die sie in langen Jahren aufgebaut haben, darum, weiterhin von der Arbeit leben zu können, die sie gelernt und perfektioniert haben und die sie lieben und gut machen.

Und ich frage mich: Warum sollten wir hier über unsere Sorgen schreiben als Magazin anstatt über Menschen, die beim zuständigen Amt um Hilfe anfragen und dann Schlagzeilen lesen müssen, wo vom «Abrutschen in die Sozialhilfe» die Rede ist. Als hätten sie sich einem schändlichen Laster hingegeben, als wären sie einer besonders bekloppten Sekte beigetreten und hätten nicht einfach ein staatliches Angebot in Anspruch genommen, so wie es ihnen von Gesetzes wegen zusteht.

Mirjam Steffen im 041
Lockdown.

Vielleicht hören Sie aber auch auf zu lesen, wenn da etwas von Hilfewollen steht. Vielleicht sollte ich Ihnen lieber erzählen, dass ich weiss, welche Kneipe es treffen wird, ganz sicher und inzwischen unvermeidbar, wer für immer die Türen wird schliessen müssen. Spüren Sie das auch, diese Lust an der Katastrophe, die uns Nachrichten lesen lässt, die schon lange nichts Neues mehr erzählen? So was Sensationelles, das würde Sie bei der Stange halten, ganz sicher! Ich sollte nicht Kneipe schreiben, der Laden ist viel mehr als das, eine Institution nämlich. Schon als Studentin sass ich da und nach einer durchgemachten Nacht hat da einer meiner Freunde den anderen notkonfirmiert, und dann haben wir Möwen fotografiert vor dem KKL.

Und jeder und jede in Luzern, der einmal jung war, kann so eine wirre Geschichte erzählen über den Ort oder sich zumindest darüber echauffieren, dass sich das Personal dort schon immer für eine Spur hipper gehalten hat als die eigene Kundschaft. Natürlich könnte ich auch schreiben, wo was eingeht, gibt’s Platz für Neues. Keine Sorge, die Plattitüden sind mir noch nicht ausgegangen. Natürlich könnte man sagen, na gut, wenn’s die nicht schaffen (und ich habe ja gesagt: sie werden es nicht schaffen, wirklich nicht!), dann essen wir da in zwei Jahren halt Ramen so lecker wie im Kreis 4, wie die Grossen werden wir da sitzen und denken, momol, der Coroner hat ja auch was Gutes gehabt. Aber ich wollte Sie bei der Stange halten mit meinem Wissen über diese eine Kneipe, diese Institution. Damit ich dann umso besser betteln kann.

Mirjam Steffen im 041
Lockerung

Stattdessen habe ich mich wieder so geärgert über diesen ständigen Druck, das Beste aus der Situation zu machen, ehrlich, was soll das! Man muss sich ja heutzutage über alles freuen, das Positive sehen, nichts infrage stellen. Die Kurzarbeit: ein Segen. Wir alle malen und komponieren wieder oder zeichnen und singen zumindest oder haben auch einfach nur ein Stück Hefe im Kühlschrank verrotten lassen, weil die Motivation fürs Brotbacken dann doch nicht gereicht hat. Als wäre mehr Zeit, um sich Sorgen zu machen, und weniger Geld, um sie zu vertreiben, ein Grund zur Freude.

Mirjam Steffen im 041
Sommer.

Wir müssen dankbar sein, dass irgendjemand im Innenhof lärmt, als wäre das ein adäquater Ersatz fürs verschwitzt zwischen Freunden und Fremden vor einer Bühne zu zappeln, auf der genau das passiert, worauf wir uns seit Wochen gefreut haben. Wir müssen uns alle darüber freuen, dass die Pandemie uns auf uns selber zurückwirft, weisch, jetzt merkst du halt, ob die Beziehung wirklich was taugt, und wenn er jetzt austickt in der Isolation, kannst du im Grunde froh sein, dass du immerhin weisst, wie er wirklich ist. Wie ein Katalysator für alles sei das Virus, wer schon angeschlagen war, wird effizienter aussortiert, als ob das unser Ziel wäre als Gesellschaft, die Schwachen identifizieren, eliminieren, durch Lebensfähigeres ersetzen. Soll es sie erwischen, die Alten, die Kranken, die mit dem Asthma. Soll es sie erwischen, all die Künstlerinnen mit ihren Installationen, all die Künstler, die dachten, sie müssten uns den Spiegel vorhalten, die gucken jetzt selber dumm in die Röhre und merken: Sie sind so systemrelevant wie die Alten, die man so lange ins Spital lässt, bis es nicht mehr genug Betten für alle hat. Solche Sätze aufzuschreiben, soll man das tun, soll man das lassen? Gesagt werden sie, und je länger das alles weiter geht, desto lauter.

Mirjam Steffen im 041
Protest

Zynisch ist das, natürlich, aber so sind wir geworden in diesen Zeiten. Wir haben uns alle ein bisschen verrannt, manche sogar ziemlich stark in Ecken, in denen sonst nur so dummdreiste Finsterlinge rumstehen mit ihren irren Verschwörungstheorien. Mir geht’s nicht viel besser. Ich wollte doch bloss schreiben: Bitte helfen Sie uns, zu überleben, gönnen Sie uns ein Abo, verschenken Sie eines zu Weihnachten oder spenden Sie uns einfach ohne irgendwelche Gegenleistungen einen mehr oder minder grossen Haufen Geld, damit wir weiterhin tun können, was wir gerne und ja, auch gar nicht so schlecht tun. Obwohl mir die einen gesagt haben, dass wir da zu viel Corona hatten im Heft, im Mai und im Juni und auf dem Cover und in den Kolumnen und Geschichten. Und sie hatten recht, natürlich, genauso wie jene, die sagten, wie könnt ihr über zwei Jugendliche schreiben in einem abgelegenen Urner Dorf, während hier unten Pandemie ist? Warum schreibt da einer über seine Kindheit in Wolhusen anstatt über Künstlerinnen, die verzweifeln? Brauchen wir jetzt Wintermärchen, mehr denn je – oder ist das komplett deplatziert? Es braucht Biden – ist das wirklich die rettende Antwort?

Wir haben in den vergangenen Monaten versucht, weiterhin ein Kulturmagazin zu produzieren, in dem es um Zentralschweizer Kunst und Kultur geht. Mal ist uns das besser gelungen, mal schlechter. Mal war die Pandemie schuld, mal nicht. Wir haben freien Mitarbeitenden, die ohnehin schon unter der Krise leiden, schlechtere Honorare gezahlt, wir sind Partnerschaften eingegangen, bei denen uns selbst nicht ganz klar war, ob das nun die reine Liebe ist oder vielleicht doch auch eine Zweckheirat. Ob Letzteres verwerflich sei, darüber haben wir diskutiert, haben drüber geschlafen und nicht geschlafen deswegen. Jedenfalls: Wir haben Überstunden gemacht und zu viel selbst geschrieben anstatt Fachleute zu Wort kommen zu lassen. Das war falsch. Und das war richtig. Wir haben nicht die Bilder finanziert, die Sie verdient haben, sondern zwischendurch einfach die genommen, die wir bekommen haben – war das unvermeidbar?

Und jetzt, jetzt drucken wir auch noch auf diesem Papier, um zu sparen. Und so, wie es aussieht, werden wir ab Januar unser Angebot runterfahren müssen. Zum Zeitpunkt der Drucklegung wissen wir noch nicht, welche weiteren Massnahmen wir ergreifen werden. Aber während wir Sie hier um Abos bitten, ist noch nicht ganz klar, in welcher Form und in welchem Umfang wir Ihnen Ende Dezember unser Magazin schicken werden.

Mirjam Steffen im 041
Maskenpflicht.

Liebe Leserin, lieber Leser, wie Sie alle da draussen hoffen wir im Grunde nur, einigermassen gesund durch diese Zeiten zu kommen. Wir arbeiten so gut wir können daran und hoffen weiterhin auf Ihre Solidarität. Sehr viele Menschen haben uns in den vergangenen Monaten schon geholfen: Wir haben Rabatte bekommen auf ohnehin schon freundschaftliche Tarife, Autorinnen haben für Dumpinghonorare geschrieben, Schreibende doppelt so viel geliefert wie verrechnet, eine Fotografin und ein Autor haben uns ihre Arbeit gespendet. Dutzende Leute haben Kleinstanzeigen geschaltet, Institutionen ihre Inserate nicht zurückgezogen, obwohl sie keine Veranstaltungen zu bewerben hatten, grosszügige Spenderinnen haben uns aus der Patsche geholfen, als wir abzusaufen drohten. Wir sind unglaublich dankbar für all diese handfeste Unterstützung, die immer auch ein Zeichen war dafür, dass wir weitermachen sollen. Wir sind angewiesen darauf, dass diese Zeichen nicht aufhören. Denn wir wollen nicht aufgeben. Merci.

Von Herzen alles Gute, bleiben Sie gesund,

Anna Chudozilov

Redaktionsleiterin

PS: Geigen Sie uns Ihre Meinung: per Mail an redaktion@kulturmagazin.ch oder per Brief an 041–Das Kulturmagazin, Bruchstrasse 53, 6003 Luzern.