Die Wurzeln bleiben die gleichen

Kleintheater, Luzern, 10.02.2020: Mit Rucksack und Wanderschuhen ausgerüstet nimmt Ruken Sahan das Publikum im Kleintheater für eine Stunde lang mit auf ihre Reise. Sie bietet Reflektionen über Heimat, Träume, Ziele und Identität.

Bilder: Akram Haji

Die Bar des Kleintheaters ist gefüllt. Man ist schon früh eingetroffen, ein angenehmer Pegel von Gesprächen erfüllt das Vorzimmer. In Kooperation mit Hello Welcome wurde der Theaterabend des transkulturellen MAXIM Theater Zürich organisiert, geflüchteten Menschen soll eine Plattform geboten werden. Der Theatersaal geht auf, nur die hinterste Reihe blieb frei, sonst ist jeder Platz besetzt. Auf der Bühne stehen ein schwarzer Holztisch und -stuhl.

Die Leute im Raum bleiben vorfreudig, gesprächig, eine Stimme ertönt aus den Lautsprechern. Ruken Sahan betritt den Raum, mit Jacke und Rucksack ausgerüstet. Es wird leise. Sie packt die Tasche aus: Wasserflasche, Thermoskanne, Stifte, Bücher. Sie erzählt gleichzeitig: Auf ihrer Flucht aus Istanbul konnte sie nur das allernötigste mitnehmen. Ihr Besitz seien ihre Erinnerungen. Die Lichter bleiben an, Ruken Sahan geht im Saal umher, nimmt Blickkontakt auf. Sie greift niemals an, sie erzählt von Gefühlen und lässt somit den eigenen Gedanken der Zuhörer*innen Platz.

Die Auswirkungen des Nichtbeherrschens einer Landessprache werden angesprochen. Entwurzelt sein. Heimatlos. Was ist Heimat? Muss man Identität aufgeben, um anzukommen? Ruken Sahan zeigt den Konflikt von einem Bedürfnis nach Heimat und dem Begehren der Akzeptanz im neuen Land auf. Integration heisst nicht Assimilation. Eine Pflanze könne man umtopfen aber die Wurzeln sind woanders entstanden.

Ruken Sahan erzählt von ihren Erinnerung und Erfahrungen
Bild: zVg

Eine Stimme ertönt aus dem Publikum und kritische Fragen über ihren Namen und Herkunft werden gestellt. Oder auch, ob sie einen Freund habe. Die gespielte Befragung wird sogar von einer Zuschauerin, welche die Inszenierung nicht erkennt, empört kommentiert. Ruken Sahan antwortet gefasst auf die scheinbar alltäglichen Fragen, mit einer Spur Enttäuschung. Sie zeigt geduldig deren Absurdität auf.

Als Kurdin und Alevitin war sie auch in Istanbul teilweise ausgegrenzt, sie kenne das, und nehme es inzwischen nicht mehr schwer. Vorurteile gäbe es überall, nur eine schier unüberwindbare Distanz mache ihr zu schaffen. Ruken Sahan ist seit 2015 in der Schweiz und spricht heute Deutsch. Ohne Notizen erzählt sie eine Stunde lang. Es würden vor allem die Nachteile gesehen, die man als Nicht-Einheimische*r mit sich zu bringen scheine, meint sie. Dabei habe multikulturell zu sein doch auch Vorteile: Sie fühle sich in Zürich zu Hause, freue sich dennoch über Erinnerungen aus ihrer Heimat. Am Zürichsee habe sie denn auch ein Stückchen Istanbul gefunden. Mit strahlenden Augen zeigt sie dem Publikum zwei fast identische Fotos auf ihrem Handy.

Ruken Sahan im Gespräch mit Barbara Müller von Hello Welcome

Das MAXIM Theater trifft mit dieser Produktion den Nerv der Zeit. Im Anschluss an den Auftritt spricht Barbara Müller von Hello Welcome mit Ruken Sahan. Ohne Pause melden sich im Anschluss Zuschauer*innen, meist selber mit Migrationshintergrund. Sie berichten von gleichen Gefühlen und danken der Künstlerin für die dargebotenen Reflektionen.

Spiel: Ruken Sahan

Regie: Jasmine Hoch

Hello Welcome im Kleintheater:

Zmittag im Kleintheaterfoyer mit Konzert und Lesungen
MO 16.März, 12:15 Uhr
Kleintheater, Luzern