Die tausend Gesichter von Mummenschanz

Eine der berühmtesten Künstlerformationen der Schweiz feiert ihren 40jährigen Geburtstag. Die Jubiläumstournee des Maskentheaters Mummenschanz hat dieses Wochenende im KKL halt gemacht.

Eine menschengrosse Hand öffnet, zuerst zögerlich, dann bestimmt, den Vorhang des Luzerner Saals. Die einladende Geste eröffnet eine zweistündige Aufführung, die Höhepunkte von vier Jahrzehnten Revue passieren lassen und die wohl nicht nur im Autor Kindheitserinnerungen wach rufen. Das Publikum applaudiert bereits nach der ersten Nummer frenetisch. Man merkt, hier ist keine Aufwärmzeit von Nöten, man kennt Mummenschanz. In den Reihen raunt es nach einigen Augenblicken: «Oh, jetzt kommen die Knetmasken!» Das Repertoire ist längst klassisch, wie die Elefanten zu Knie, so gehören riesige Röhren, farbige Säcke und geometrische Figuren zu dieser Truppe. Und wie die Elefanten im Zirkus, so vermögen auch diese genuinen Elemente immer wieder aufs Neue zu überraschen. Obwohl oder gerade weil sie so einfach scheinen, werden sie nicht langweilig. Der Plumpsack geht um, ganz grazil Das Rezept ist meist simpel: Unbelebter Stoff erhält Leben, er bekommt Persönlichkeit und aus der Persönlichkeit entwickelt sich eine Geschichte. Ein brauner Sack, drei Meter hoch, wälzt sich über die Bühne. Er dreht sich um und blickt – ja blickt! – das Publikum grimmig an. Aus seinen Falten hat sich ein Gesicht geschält, das uns nun entgegen rollt. An der Rampe droht er hinunterzufallen, den ersten Rängen entgegen. Dort schreit man erwartungsvoll auf. Fällt er oder fällt er nicht? Die Interaktion mit dem Publikum ist Mummenschanz wichtig. Der grosse rote Ballon, den ein gelber Röhren-Wurm gekonnt jongliert, kommt in die Zuschauerreihen geflogen. Über Sekunden hinweg wird nicht nur für, sondern mit dem Publikum gespielt. Als der Wurm den Ball nicht fangen kann, schaut er uns tadelnd an. Obschon er kein Gesicht, keine Hände und keine Beine hat. Das ist das Geheimnis der Mummenschanz-Magie: Die Verkörperung von Emotion nur durch Bewegung. So plump die Stoffungetüme auch ausschauen, grazil bewegen sie sich, sind sie erst mal mit Schalk erfüllt. Das stille Örtchen Es geht um Hass und Liebe, einmal witzig, einmal poetisch. Und meist beides zugleich. Ein eindrückliches Beispiel sind die Klopapier-Masken. Augen, Ohren und Mund lassen sich jeweils als Rolle abwickeln. Frau und Herr Klopapier ziehen sich lange an den Ohren, verwickeln sich und ihre Sinne und finden schliesslich doch ihr Glück. Die Bühne ist ein stilles Örtchen, und das ist nicht abschätzig gemeint. Denn auf Musik verzichten die «musiciens du silence» konsequent. Einzige Begleiter sind die Geräusche des wallenden Stoffes, die behänden Fusstritte und das seltene Keuchen der Artisten, wenn es besonders anstrengend wird. Was man von den Menschen unter der Maske nicht vermuten würde: Vier der fünf Künstler sind um die sechzig Jahre alt, nur der Jüngste ist «erst» sechsundvierzig. Nach der Aufführung sagt eine Frau zu ihrem Mann: «Du, nur wenige Nummern habe ich noch nicht gekannt.» Sie sagt es nicht enttäuscht, sondern glücklich. Und klingt dabei etwas stolz auf sich und die Geschichte(n), die sie mit Mummenschanz teilt.

Mummenschanz tritt im September wieder im KKL auf.