Die Familie über alles! – «Der Pate I-III» im Südpol

«Far A Day Cage», das Kollektiv um Regisseur Tomas Schweigen, zementierte gestern Abend im Südpol seinen Ruf als komplexeste und innovativste Gruppe in der Freien Theaterszene in der Schweiz. Wen es nach einem wahrhaftigen Mind-Blower dürstet, soll heute oder morgen in den Südpol. Auf Biegen und Brechen ... Schönes Wetter hin oder her!

Dreieinhalb Stunden? Ojemineh – wird man das ertragen? Ja, man wird. Mit Genuss! Am Anfang ist eine Bitte an der Hochzeit der Tochter des Paten (Jesse Inman, brillant!) und schon bald sind es drei Spielebenen, die flüssig wechseln. Jene der Schauspieler als Schauspieler, als sich selbst und als Pate-Protagonisten. Die Filmdialoge werden in Englisch gesprochen, mit deutschen Übertiteln. Zeitgleich kocht man: Spaghetti alle Sarde wird verheissen. Bis in einem Faustgefecht eine Packung Zucker in den Topf fällt. Was nun? Pizza bestellen. Bis das Essen kommt geht's weiter mit einem bunten Feuerwerk aus Filmszenen und Anekdoten.

Der Pate ist höchstens in zweiter Linie ein Film über die ... äh ... Mafia. Primäres Thema ist die Familie. Familienehre, Familiengezänk. Die Frauen sind hysterisch, die Söhne ungeschickt, naiv oder werden von Kugeln durchsiebt. Immer wieder die selben Klischees, immer wieder ein neuer alter Pate, der sich mit den gleichen Problemen rumschlägt und schliesslich stirbt. Sie merken: «Der Pate I-III» ist unter Vielem auch eine gnadenlose Demaskierung der Filmtrilogie, wie auch den Drehumständen. So ist es nur stimmig, dass in der Menukarte der Corleone- und der Coppola-Stammbaum abgedruckt sind. Wie war das nochmal bereits im ersten Teil? Vater Coppola komponierte. Schwester und Neffe schauspielerten. Meine Lieblingszene, das Massaker. Dramatische Töne. Die Akteure spielen auch die Musik live. Schnitte zwischen einer Taufe und dem grossen Rumgeballer. Ein dünner schwarzer Vorhang fällt, der Raum vervierfacht sich und eine riesige Tafel liegt vor dem Publikum. Bedeckt mit rot-weiss-gehäuselten Tischtüchern. Die Mafiatafel ist angerichtet, man kann Platz nehmen. Wein und Wasser stehen bereit. Das Essen lässt auf sich warten, also spielt die Combo noch einen Song: «Guarda Che Luna» - Herzzerreissender Schmalz!

Endlich! Pizza. Und nicht einfach von irgendwo. Die Kartonschachteln tragen das Logo des «Weissen Kreuz». Lecka! Immer wieder Intermezzi. Diashow, Fachsimpeleien. Schliesslich der Auftakt zum dritten Teil, den aus künstlerischer Sicht eigentlich niemand machen wollte. Aber das Geld stimmte. Und Coppolas Tochter erhielt «völlig überraschend» eine Hauptrolle, nachdem die anderen beiden Hauptdarstellerinnen unerwartet und relativ absurd verstarben. Der letzte Part entwickelt sich zum demotivierten Kraftakt – von FADC exzellent vermittelt – und endet mit einer Erschiessung (auf der Opernhaustreppe – remember?). Das wahrhaftig Geniale an diesem Theaterereignis ist, dass es hochkomplex, (drei Ebenen, zahlreiche Stränge) jedoch nie angestrengt oder mühsam ist. Dass es viele Fakten erhellt, dabei aber nie streberhaft wirkt oder gar lehrmeistert – im Gegenteil: Das Stück kommt höchst unterhaltsam daher und schafft es jeden Zuschauer an dem Punkt abzuholen, wo er steht. Und ist verdammt gut gespielt. Und langweilt nie. Und nutzt den riesigen Raum als Bühne extrem stimmungsvoll. Und ... und ... und ... - Hingehen!