Der Teppich geht auf Reisen

Jazzkantine, Samstag 23. März  2013. Im vergangenen Jahr begaben sich eine Horde wilder Musiker und ein japanischer Filmemacher auf eine abenteuerliche Reise quer durch Europa. Das Resultat ist ein dokumentarischer Roadmovie über die Freude am öffentlichen Musizieren.

Es wurde zunehmends enger im altehrwürdigen Keller der Jazzkantine. Die rund 100 Sitzgelegenheiten drei verschiedener Qualitätsklassen (Festbank , Stuhl oder Kinosessel) waren schnell besetzt.  Denn das Fischermanns Orchestra lud zur Filmpremiere von Tokio Filter, einem ofenfrischen Dokumentarfilm vom Japaner Kohei Yamaguchi (*1979). Die über 200 Stunden Filmmaterial, von Yamaguchi in den letzten neun Tagen zusammen geschnitten, fassen die letztjährige Europa-Tournee des Fischermanns Orchestra zusammen. 15 Tage unterwegs, von Ebikon über München nach Berlin, Dresden, Bratislava, Wien und wieder über München zurück nach Luzern, gemeinsam im Tourbus, in Konzerträumen, Parkanlagen, Altstadtgassen und Campingplätzen. Stets dabei der legendäre runde Teppich.

Knallhart bekommt man den Tagesablauf der Orchestra-Mitglieder präsentiert. Egal ob frühmorgens beim Aufstehen, beim improvisierten Mittagessen oder spätabends bei einer Street Session auf einem öffentlichen Platz. Der Japaner ist gefühlte 24h mit seiner Kamera, die er auch bei seiner hyperkurzen Ankündigungsrede auf der Bühne mit sich trägt, präsent und fühlte den Musikern bei praktisch jeder Gelegenheit auf den Zahn. Yamaguchi selbst gibt sich kamerascheu, was sein Antlitz betrifft, bringt aber seine Stimme aus dem Off auf penetrant-ironische Weise auf die Leinwand. Dominiert wird der Film von den zahlreichen öffentlichen Auftritten des Fischermanns Orchestra mit Live-Aufnahmen von Eigenkompositionen. Kurze Interviews mit einigen Bandmitgliedern (Bandleader Thomas Reist sitzt auf einer gelben Toilettenanlage) begleiten den Film und liefern mittels verschiedenen englischen Akzenten interessante Hintergrunddetails über die Bandgeschichte, Motivationen und Erfahrungen.

Kohei Yamaguchi stellt sich im Interview nach der Filmvorführung als unterjochter Arbeiter in einem japanischen Konzern vor, der seine wenigen Ferientage auf einem Roadtrip mit einer Schweizer Jazz-World-Experimental Musikgruppe verbracht hat.  Als einziger Asiate innerhalb der Reisegruppe hält er seine persönlichen Impressionen fest und erzeugt einen intim-witzigen Blick auf das Luzerner Musikensemble. Obwohl er aus der japanischen Weltstadt Tokio kommt und sich wahrscheinlich die klischierte Reizüberflutung gewohnt ist, hat er ein feinfühliges Auge für bestimmte Situationen und Bildkompositionen. So sieht der Zuschauer, wie man sich über das ständige Picknicken aufregt, die Kellnerin in der Sushi-Bar mit lauter Münzen bezahlt (die Dame wird wohl kein Fan des Fischermanns Orchestra…) oder im Takt der vorbeifahrenden Autos ein Trommel-Intermezzo auf der Leitplanke zum Besten gibt. Die Filmsprache von Kohei Yamguchi überzeugt durch eine experimentierfreudige Auswahl von filmischen Ausdrucksmitteln, die dem Zuschauer die Future Tour des Fischermanns Orchestra auf unterhaltsame Art und Weise vermittelt.  Vornehmlich subjektive Kameraeinstellungen wechseln sich mit Slow-Motion-Aufnahmen, Interview-Sequenzen und Konzertaufnahmen ab. Auch wenn einige abrupte und lautstarke Übergänge dazugehören, bleibt der Film auf einer soliden Gratwanderung zwischen Dokumentation und Roadmovie mit einer förmlich spürbaren Begeisterung des Filmemachers wie auch den Musikerinnen und Musikern.

Tokio Filter von Kohei Yamaguchi, CH-D-A-SK 2012, 59 Min., Englisch/d Trailer