Der Tanz um den Titanen

Gestern Sonntag lud das Luzerner Theater in Kooperation mit der Stadtbibliothek und der Hirschmattbuchhandlung unter dem Titel «Literatur live» zur Matinee im Foyer. Zum zweiten, aber garantiert nicht letzten Mal. Thema: Dürrenmatt. Anwesend: Peter Rüedi, Journalist und Biograf des ebigen, sowie Marco Meier, Publizist.

Luzerner Theater, 11.11.2011. Dürrenmatt ist überlebensgross. Unnahbar. Ein Säulenheiliger der helvetischen, gar der gesamtdeutschsprachigen Literatur. Zumindest seit er tot ist. Kurz bevor er das war, besuchte der Journalist Peter Rüedi Dürrenmatt anlässlich seines 70. Wiegenfests für eine Artikelserie in der «Weltwoche», die in diesem Ausmass – wie Rüedi bemerkt – heute wohl in keiner Zeitung mehr Platz fände. Über sein Werk, «Dürrenmatt oder Die Ahnung vom Ganzen», an dem er mit Unterbrüchen 20 Jahre lang arbeitete, wurde genug geschrieben. Nur soviel: Nein, man kommt nicht dran vorbei. Und: Verdammt, das Foyer war voll. So richtig voll. Das ist ein Verdienst. Besonders für eine Literaturveranstaltung. Zu der kommen wir jetzt: Zu Beginn wurde His Master's Voice höchstpersönlich eingespielt. Eine Aufnahme von Dürrenmatt, in der er den herrlichen Text «Der Tod des Sokrates» liest, in dem ein ganz anderer aus ganz anderen Gründen den Schierlingsbecher leert. Dann redeten Rüedi und Meier miteinander über den grossen D. Sehr sympathisch, informativ, beinahe stoisch über die ständigen Probleme mit dem Mikrofon hinweg sehend. Man durfte erfahren, dass die beiden Herren auf der Bühne bereits einige lange Weinnächte miteinander verbrachten, dass Rüedi Meier die Urlektion in Miles Davis gab, aber auch viel vom alten Fritz. Diese Fröntlergeschichte wurde beispielsweise nochmal beredet. Rüedi bucht sie wohl richtig als gesuchtes Outsidertum ab. Dürrenmatt, der Rebell, der sich radikal vom protestantischen Vater, der am Esstisch jeden Sieg der Alliierten bejubelte, abgrenzen wollte. Wenn man dabei noch bedenkt, das er sich kurze Zeit später im Zirkel um Wilhelm Stein und bei Walter Jonas rumtrieb, die beide jüdischer Herkunft waren, erübrigt sich der Nazi-Vorwurf. Aber diese Missverständnisse waren im Fall Dürrenmatt zahlreich, wie man in der eingeflochtenen Lesung von Rüedi entnehmen konnte. Von seiner Postur, den vom Autor selbst verleugneten literarischen Vorbildern (Kafka, Brecht ...) bis zu seiner Liebe zu amerikanischen Wagen. Alles war anders, als interpretiert wurde. Wie? Lest das Buch!

Nächstes Mal übrigens, am 15. Januar 2012, liest die heurige Hausautorin Verena Rossbacher und stellt sich dem Gespräch mit dem Autor und Literaturnetzwerker Beat Mazenauer.