Der neue Mann als Symptom, nicht als Ursache

Nach dem Debüt mit «Z (2008, Altes Zeughaus/PHZ) und nach «Checkpoint – Israel/Palästina» (Januar 2010, Südpol-Club) ist Reto Fingers 2005er-Stück «Schwimmen wie Hunde» die dritte Inszenierung der seit zwei Jahren aktiven Luzerner Produktionsgruppe Grenzgänger. Gespielt wird zur Abwechslung im Südpol-Bistro. Inszeniert hat Bettina Glaus.

«Ich trenne mich von dir.» Lakonisch-sec kommt der Satz von Charlotte (Dagmar Hirsekorn). Nach sieben Jahren Zusammensein. Und wo doch alles für Robert (Samuel Zumbühl) so harmonisch schien. Eben ist er dabei, die Ferien-Dias zu ordnen. Er geht – und bleibt gleichzeitig. Denn er entschliesst sich, länger als geplant im Keller drunten zu hausen Robert singt in der Nacht John Denvers «Country Roads» in der Küche, was Charlotte und Viktor (Manuel Kühne) nicht gefällt und sie beim Sex behindert bzw. davon abhält. Er muss es in der Küche singen, weil im Keller tönts nicht recht, wo er eben lange auszuharren vorhat. Am Ende hat er Notvorrat und Equipment bereit gestellt – «für ein Jahr sollte es reichen, mindestens.» Wenn er unten ist, verständigt er sich mit oben per Walkie-Talkie. Viktor ist, so Charlotte, als eine Art Zwischenmann, «nur ein Symptom, nicht die Ursache». Und «Filmkritiker» ist er auch (später wird er in die Pflege wechseln). Besser: Porno-Kritiker. Bzw. PR-Fuzzi für das Sexverleihgewerbe. Sein Lieblingsfilm heisst ja auch «Sexy Sports». Die Freunde haben Charlotte und Robert aufgeteilt, ihre diesbezügliche Vereinbarung (wer behält welche, welche bleiben gemeinsame) kennt drei Kategorien. Ingrid (Claudia Schwingruber) gehört zum Freundeskreis. Sie muss pressieren, hat gerade noch 72 Stunden Zeit, um ihren Lebensplan zu vervollständigen, Mann finden und schwanger werden, bevor sie ein gewisses Alter erreicht hat (es stehen hier Thirty-Somethings vor uns). Viktor tritt ab, Auftritt Johann (Erich Slamanig). Das ist der mit dem seltsamen Liebesbeweis: gemeinsam bei Vollmond vom Rathausturm in die Tiefe und den Tod springen. Nicht real, nur die Zustimmung brauchts. «Nichts ist der grösste Beweis für die Liebe als der Wunsch nach einem gemeinsamen Tod.» Eine Ehe, so Johann, hält nur 40 Jahre, der Tod hält ewig, für immer. Vorher hat Charlotte noch ihren 34. gefeiert, und sie will nicht, dass an ihrem 34. Geburtstag ein Fisch stirbt. Der Clownfisch aus dem Gurkenglas im Geschenk-Aquarium-Kombi schwimmt da aber schon mit dem Bauch nach oben. Ingrid, dazwischen, hat eine Affäre mit Johann bzw. umgekehrt, derweil Charlotte Mutter geworden ist. Und da ist noch die Geschichte mit dem toten Hund von damals beim gemeinsamen Urlaub im französischen Süden zu dritt. «Schwimmen wie Hunde» von Reto Finger (*1972) wurde 2005 im Theater an der Winkelwiese in Zürich uraufgeführt. Entstanden war das Stück im Rahmen der Nachwuchs-Förderungseinrichtung «Dramenprozessor» (2003/2004). Die Grenzgänger-Produktion bringt das Geschehen dank der gewählten Spielstätte schön nah heran, Küchentheke und das (Schau-)Fenster zum Balkon werden mitbespielt, während das Hauptgeschehen sich in einer mit einem Dutzend kargen Weiden (botanischer Irrtum vorbehalten, Bühne: Barbara Pfyffer) bestückten offenen Bühnenlandschaft abspielt, die dank Deckenlampen und weiterem Licht wandelbar wird von innen zu aussen. Während den gut 70 Minuten Stückdauer der Luzerner Inszenierung entfaltet sich das, was als Entschleunigung wider den gesellschaftlichen Trend der Rasanz charakterisiert werden kann. Figuren entziehen sich in ihren Entscheidungen bzw. in den daraus folgenden Handlungen dem systemkonformen Verhalten. Wie Robert, der geht und doch bleibt. Alle strampeln sie. Das «bissige Beziehungsstück» trägt denn auch den vollständigen Titel «Schwimmen wie Hunde. Oder: Auf unelegante Art und Weise gegen das Absaufen kämpfen». Da darf es zum Glück Komik haben, dezente, was verhindert, dass «Schwimmen» zu einer angestaubten Vorführung von Kleinbürgerneurosen gerät. Autor Reto Finger zum Stück: «Unsere Gesellschaft erfährt in mancher Hinsicht eine unglaubliche Beschleunigung. Die Art und Weise, wie sich Menschen begegnen und miteinander reden, hat sich in den vergangenen Jahren verändert, auch in einer Wechselwirkung mit den neuen technischen Kommunikationsmöglichkeiten. Wenn sich nun jemand diesem System entzieht ohne zu flüchten und ohne sich damit den Stempel des Aussteigers aufdrücken zu lassen, dann kann das schon provozierend sein. Ein Rad in einer Gesellschaft, das sich durch passiven Widerstand weigert, mit einer normierten Geschwindigkeit mitzudrehen.»

Weitere Aufführungen: 10., 16., 18., 19. September, 20 Uhr, Südpol Luzern Trailer zum Stück: [youtube]http://www.youtube.com/watch?v=wYkiqVVsn8Q&feature=player_embedded[/youtube]