Der Klang eines Fossils

Jazzkantine, 24.11.2016: Zum zweiten Mal treten die vier Alt-Jazz-Rockstars von OM zu einer Session im Traditionslokal der Luzerner Altstadt auf. Selten war die Jazzkantine so gefüllt seit Henks Abschiedsparty. Musikalisch grandios, mit Schwung und jugendlichem Eifer. Ein Symptom unserer Zeit hat das sich sonst treue Fossil der Musik des 20. Jahrhunderts heimgesucht. Ein jugendlicher Einordnungsversuch. Von Silvan Schmid

Ich frage mich: Wie klingt OM?

Initiativ im Dienst der Sache, vielseitig und geduldig

Es fängt an zu rollen, in welcher Form auch immer, ob nur scheppernd laut, ruhig atmend, kraftvoll energetisch, dynamisch kontrolliert oder stur geradlinig. Durch eine Empfindung von einem der vier Musiker kann eine erst minimale Veränderung erschaffen werden. Dann durch eine Weiterentwicklung dieser neuen Idee scheint es, als komme die eingespielte Band immer näher. Sie arbeiten auf eine Vorstellung hin – auf die ihres eigenen, momentanen Sounds. Damit gelingt ihnen ein zielstrebiger und hoch spannungsvoller Auftritt. Und ehe der/die Zuhörer/in sich eine Pause gönnen konnte, war das nicht ganz einstündige Set auch schon durch. Wie ein Sog kam es mir vor. Als Zugabe gaben sie zum Besten, woher sie ihren Namen haben: reduziertes, aber prägnantes Schlagzeug – wofür Fredy Studer bekannt ist. Dazu die warm-wummerige Kontrabassbegleitung von Bobby Burri. Aufquellende Soundwolken aus der Glitzergitarre Christy Dorans. Ein Thema, seidefein gespielt von Urs Leimgruber. Zusammen eine Weiterentwicklung des Urklangs unserer westlichen Jazz-Rockgeschichte: OM.

OM mit Urs Leimgruber: reeds, Christy Doran: electric guitar Bobby Burri: double-bass, Fredy Studer: drums, percussion in der luzerner Jazzkantine.

Zwischen Nostalgie und Authentizität der Freiheit

Man betrachte nach dem Konzert die vielen Leute, die gekommen sind. Die allermeisten im selben Alter wie die vier Musiker. Alt und altbekannt sind die Gesichter. Einige sahen die gleichen vier damals noch als junge Tunichtgute am Montreux Jazzfestival oder sonst wo auf den grossen Bühnen Europas. Ganz schön nostalgisch stelle ich mir das vor – vielleicht eine Unterstellung. Obwohl, die Musik war keinesfalls nostalgisch. Musikalisch sind alle vier logischerweise völlig woanders als in den alten Zeiten. Jeder von ihnen hat unzählige weitere Konzerte und Probenstunden hinter sich. Bobby Burri hat sich bekanntlich zurückgezogen nach seinem Soloprojekt Bass´n´Bass. Item, sie gehen vorwärts, sind völlig andere Musiker als damals. Aber was ist es denn dann, was sie wirken lässt wie Free Jazz Rocker? Schlägt man die aktuelle 041-Ausgabe auf Seite 22 auf, geben die vier Herren ihre Meinung in einem Interview zum Besten. Das schlagzeilenartige Zitat des Saxophonisten Urs Leimgruber lautet: „Haltung klingt!“ Da geht mir gleich ein Licht auf. Man erinnert sich – also ich bin dafür zu jung, aber der eben genannte Grossteil des Publikums sollte sich erinnern können - an die 40 Jahre zurückliegenden, damaligen Erfolge von OM. Ihre Rechtfertigung erhalten die Erfolge (mitunter) durch die Haltung der Musiker. Damals herrschte in der Kultur eine Zeit des Nichtkonventionellen und der Schreie nach Freiheit. Die musikalischen wie die gesellschaftlichen Traditionen sollten über Bord geworfen werden. Sie hörten „Jimi Hendrix und John Coltrane, deren Sound die damaligen Rock- und Jazzgefüge zum Bersten brachte [ ... ].“, wie es Pirmin Bossart auf genannter Seite beschreibt, „ Aus diesen Ingredienzen schufen sie eine explosive Mischung, in der die Energie der Rockmusik mit Free-Jazz-artigen Improvisationen kollidierte.“ Dieser, aus heutiger Sicht musikalischen fossilen Haltung schafft es OM noch heute nachzukommen. Als Zuhörer/in wird man aus dem Alltag gerissen und erlebt während des Konzerts eine Selbstverständlichkeit dieser Freiheiten. Es bedarf keiner Erklärung, inwiefern Rock und Free-Jazz der Freiheit entspricht, oder?!

Avantgarde als Haltungsverlust?

Doch wo finden wir diesen Freiheitsdrang heute? Urs Leimgruber gibt als abschliessendes Wort im O41-Interview etwas von sich, das mein jugendliches Gemüt enttäuscht: „[…], weil wir glauben, nicht die Welt, sondern uns zu verändern.“ Also mit Rock und Free Jazz hat das wenig zu tun ... sage ich jetzt einfach mal so. Das weitere auch, denn mit Verlaub: Ich habe vollstes Verständnis dafür, keine Revolution mehr herbeiführen zu wollen. (Wenn die euch als Generation im kleinen Masse auch anfänglich gelungen ist.) Nur weils mehr Arschlöcher auf der Welt gibt oder diese zumindest prädestiniert dazu sind, am längeren Hebel zu ziehen, heisst das doch nicht, sich jetzt noch verändern zu müssen und einem scheinbaren Strom der Zeit zu folgen. Man kann nicht ewig Avantgarde sein, wenn dies bedeutet, sich selbst einzuholen. Auch wenn die aktiveren drei Musiker unzählige „zukunftsorientierte“ (ebd.) Projekte haben und hatten. Heute Abend und vor einem Monat wurde Haltung bewiesen. Diese darf OM, unter anderen Vorbild für viele Junge, nicht verloren gehen! Es bleibt jedoch abzuwarten und keine vorschnellen Schlüsse zu ziehen. Wie dem Interview zu entnehmen ist, sind erst Ansätze vorhanden. Dabei bleibt spannend, ob es OM gelingt, ihre Haltung beizubehalten oder ob sie verwäscht in musikalischer Spielerei.

Nächstes Konzert von OM in der Jazzkantine: 22.12. 16 (Es wurden Weihnachtslieder angekündigt ...)

(Anhang: Als junger Musiker ist man fast zwangsweise auch zukunftsorientiert. Musik für sich selbst zu machen, an sich zu arbeiten und sich zu verändern, kollidiert täglich damit seine Musik nach aussen zu tragen. Die Umsetzung des Eigenen ins Reale ist eben die Herausforderung. Ich habe die Überzeugung, dass die treibenden Kräfte für die Kulturentwicklung im Fokus die Musikentwicklung Europas waren, dass man drauflos brüllte, haute, stampfte und hornte, bis sich die Balken bogen. Diese Haltung, meine ich, soll nicht verloren gehen. Ziel dieser ist es ja, dass die Arschlöcher wissen, dass sie es nicht allzu leicht haben werden und dass, um Urs Leimgrubers Formulierung aufzugreifen, die Welt verändert wird.)