B-Sides Tag 3: Klappe zu, Affe tot

Sonnenberg, SA 14.06.2014: Zuerst den Kindern, dann den Erwachsenen zünftig die Musikstile um die Ohren wirbeln lautete die Devise des letzten B-Sides Tages.

(Fotografien: Silvio Zeder, Mik Matter)

Müde von den letzten beiden Tagen, dem Zuwenig-Schlaf-Zuviel-Bier-Rhythmus ausgeliefert, hätte man es wohl nur mit Kindern im Hause so früh auf den Hügel geschafft. Anscheinend gab eine rege Brunchtätigkeit, unterstützt mit Musik von Us the Band, Pfote Mampft Quark und wie alle Jahre wieder, El Ritschi. Also gegen 16.00 Uhr die ersten Personen ohne kleine Menschen mit farbigen Kopfhöreren auftauchten, begann das Featuring von Merz mit den Trommelgötter von Sartorius Drum Ensemble. Der Headmaster Sartorius selbst, flankiert von seinen kongenialen Artgenossen Troxler, Zumthor und Friedli, reagierte mal mehr mal weniger auf die Gesangsausrufe von Merz. Diese Formation hätte man am Donnerstag auch bestens gegen das Sommergewitter einsetzen können mit dieser Art Darbietung, die jeder afrikanischen Regentanzzeremonie Konkurrenz bietet. Ausschliesslich Perkussionsinstrumente interpretieren das Album No Compass Will Find Home von Merz, darunter Kinderspielzeug, Mini-Mini-Piano oder Vogellockrufpfeifen. Den Kindern am Bühnenrand hat es gefallen, all die Erwachsenen die noch mehr Musikmitgefühl zu spüren wollten, die sollten nächstes Mal Indoor zuhören gehen. Lohnt sich. Wer hätte gedacht, dass ein Stück tschechoslowakische Revolutionsgeschichte beim B-Sides Festival vertreten ist? The Plastic People of the Universe, ihres Zeichen aus Prag, gegründet weit vor den Jahrgängen der durchschnittlichen Besucherinnen und Besucher, spielten Zappa, Doors, Velvet Underground und Hendrix Covers zu einer Zeit, als dies eine massive gegenkulturelle Aktion gewertet und mit Lizenzentzug für Profimusik, Instrumenteneinzug und Gefängnisstrafen restriktive abgewürgt wurde. Natürlich haben die Musiker ihre Köpfe nicht in den Sand gesteckt, und mittels Eigeninitiative das antikommunistische Sprachrohr am Leben erhalten. Bis heute. Der über 70jährige Vratislav Brabenec pustete in Saxophon und Klarinette, als hätte die Zeit keine Spuren hinterlassen. Gut, wiedermal die „alte“ Musik zu hören, auch wenn der eiserne Vorhang längst Geschichte ist.

Damien Jurado (Fotografie: Silvio Zeder)

Am wenigsten Bühnenequipment brauchte definitiv der amerikanische Singer-Songwriter Damien Jurado. Zu Beginn des Konzerts schien er noch irgendetwas am kauen gewesen zu sein, aber es fiel kein Kaugummi oder ein Bissen Lamm-Auberginen Frikassee heraus sondern eine ziemlich beeindruckende Stimme. Düstere, melancholische Texte müssen es gewesen sein, hätte man genauer zugehört. Zwischen Literatur und Popgesang, ein narratives Songwriting aus dem Fundus der vielen Alben und Singles von Jurado. Sein Radioohrwurm Arkansas wäre noch wünschenswert gewesen… Es wird in der Mitte des Textes schon mal vorne weggenommen, dass der Autor leider leider keinen einzigen Fuss ins Bohemian Welcome Zelt gesetzt hat. Zu warm? Zu wenig Platz? Zu viel anderes los? Vor dem Zelt in ein Gespräch verwickelt? Irgendein Grund gab es immer. Aber eigentlich müsste man genau über das schreiben, was gerade am kommen ist und nicht über das, was alle schon wissen. Nun ja, späte Selbsterkenntnis nützt jetzt auch nicht mehr viel. Weiter im Text von den „grossen“ Bühnen. Unten immerhin zwei Fotografien von Evje und Wavering Hands. Fenster, eine typische Band aus Berlin. Schmelztiegel ist immer das erste Wort, das einem für diese Stadt einfällt. Und das färbt ab, logischerweise auch auf Musikbands. So ist Fenster eine Mischung aus GER und USA, haben eine der illustrativsten Websites die man kennen sollte und haben kitschige Glitzertotenköpfe als Bühnendeko. Dream-Pop unterschwellig mit Indie verziert, könnte man auch als Chamber-Pop bezeichnen, der viel Wert auf Pseudointellektualität setzt. Auf jeden Fall erklingen tausendfach Geräusche aus allen Ecken der Bühne, Leute wechseln die Instrumente und irgendwie hat man das Gefühl, diese Band kann wirklich nur aus Berlin stammen.

Suuns (Fotografie: Silvio Zeder)

Wer am Freitag schon auf dem Berghügel war, ist mit der kanadischen Musik bereits bestens vertraut und da fügen sich doch die Montrealer von Suuns nahtlos in das Line-Up hinein. Die Stimme des Sängers, Ben Shemie, war zwar höchsten Grades unverständlich, aber ums gesungene Verständnis ging es auch nicht. Bassdröhnung, Elektrodröhnung, Gitarrendröhnung und das möglichst bis in die hinterste Reihe war die Absicht von Suuns. Indie mit viel Electro gekreuzt, verschachtelt, komplex und kryptisch anmutende Klanggeflechte sind die Insignien des neusten Albums Images du Futur. Es folgt ein einheimischer Kulturschock mit Moskito. Da hat man zwei Tage lang den Hip Hop überhaupt nicht vermisst, und auf ein Mal ist er plötzlich da und man fragt sich wiedermal, wie es die drei Rapper und der (Kung) Flu Beatmaster schaffen, egal wo, für Stimmung zu sorgen. Wenn man sich bis Januar zurück besinnt, in Gedanken beim Kick Ass Award landet, dann hat man den aktuellen Titelverteidiger auf der Bühne. Mike, Luzi und ihren Gast (Freddy?) liessen es sich natürlich nicht nehmen, ihren Gewinnersong Fallschirm zum Besten zu geben. Und spätestens beim obligaten «Chiiill, chill Baby, chill Baby, chiiill» bemerkte man, dass es nicht nur Indieköpfe auf dem Festival hatte.

Skip+Die (Fotografie: Silvio Zeder)

Eine Band, die wohl den wenigsten einen Begriff bot war Skip + Die aus Holland und mit Südafrikaeinfluss. Das Sprachland ist kaum definierbar, zwischen holländischem Slang, Afrikaans und Englisch, geht es bei Skip + Die auch mehr um schweisstreibende Beats und Arobic-Disco. Die Frontfrau Cata Pirata, eine wandelnde Federboa im sexy Badekleid/Body Suit und Spezialistin der Rap-Rave Technik nutze die Gelegenheit als allerletzte Hautbühnenkracher. Ein fröhlicher, farbiger Abklatsch von Die Antwoord, aber mit ebenso viel Intensität in der Bühnengestik, hüpfte, schrie, animierte und begeisterte auch weite Teile der Zuhörerschaft. Bei Love Jihad purzelten wummernd Blubbergeräusche über die Bühne, die Hände in der Luft und die Stimmung im siebten Himmel. Die Mitglieder der Band, die jeden Namenscontest konkurrenzlos gewinnen würde, Zentralheizung of Death des Todes, waren schon den ganzen Nachmittag auf dem Gelände auszumachen. In waschechter Punkrockmontur, mit mehr Löcher als unser Nationalprodukt, Groupies suchend, und bei jedem zweiten Konzert in der Frontrow mit mindestens zwei Bier, in jeder Hand. Ihr Konzert, als Fahneneinzug auf der Zeltbühne, versprach ein schnelles Fegefeuer aus Gitarrenriffs und viel Krach à la Garage-Punk. Und siehe da, die schäbigen Outfits sind einer uniformen Zentralheizungsprüfinstanzbehörde gewichen. Bis zum nächsten Jahr oder an einem der baldigen 10 Big Moments! Danke B-Sides Macherinnen und Macher!

Evje (Fotografie: Michael Matter)

Wavering Hands (Fotografie: Silvio Zeder)