Anästhetische Grenzgänge der Musik

Neubad Luzern, 27.3.2015: Gestern Abend lotete das Ensemble «hand werk» im Rahmen des Festivals Klangbad die Grenzen musikalischer Darbietung aus. Das sechsteilige Arrangement der Kölner überzeugte im Neubad durch den innovativen Charakter ungewöhnlicher Klangerlebnisse.

(Von Tiziana Bonetti)

Von Klangkörpern und Holztafeln Drei Musiker sassen je an einem Tisch, vor jedem lag eine rechteckige Holztafel und ein Notenblatt. Durch den streng konzipierten Ablauf von synchronen und diachronen Schlägen, durch das Klopfen, Tapsen, Aufprallen und das Fahren mit der Handfläche über oder auf die Tafel, erzeugten die Musiker eine spannungsgeladene rhythmische Struktur, die ihrer Komplexität wegen die Aufmerksamkeit der Zuschauer maximal herausforderte. Im Verlauf der Aufführung dienten den Ensemblemitgliedern nicht klassische Schlag-, Streich-, Tast-, oder Blasinstrumente, sondern es kamen diverse Alltagsgegenstände, technische Geräte und andere Objekte zum Einsatz. Aufgrund der ostentativen Gesten der Hände und der angespannten Mimik der Musiker waren der Darbietung auch Schauelemente inhärent. Das Projekt, das den Namen musique de Table trägt, lebt von diesem Zusammenspiel von Optik und Akustik. Insgesamt waren die sechs Arrangements nicht als rein akustische Darbietungen intendiert. Denn erst die Gleichzeitigkeit von visueller und akustischer Rezeption machte das Vorgetragene reizvoll. Ohne dieses Seh-Moment und der damit verbundenen Einsicht in die Entstehung der diffusen Klänge wäre das Arrangement witzlos gewesen. Erkundung von Musik als liminalem Raum Die in den vorgestellten Projekten unleugbare Dominanz von Rhythmik, das Fehlen von Tonalität sowie die unkonventionelle Weise der Klangerzeugung erzeugten im Zuhörschauer Assoziationen archaischer Musik. Die Arrangements des Ensembles verwiesen dadurch an das urmenschliche Bedürfnis, aus Körpern Klänge zu entlocken. Der stark handwerkliche, respektive technische Einsatz von Stimme und Hand bekundete ausserdem eine Absage an die romantische Vorstellung der Künstlerhände als jene eines Virtuosen, welcher durchdrungen von seinem Spiel auf dem Instrument in eine Art Trancezustand verfällt. Stattdessen spielten die Hände die Rolle des technischen Erzeugers von Klängen. Sie produzierten Hörwelten von atonalem Charakter. Anstelle von Ekstase, mit Pathos erfüllter Expression oder Trancezuständen, regierte Konzentration und extremste Genauigkeit. Das Ensemble hand werk sagte nicht nur dem Postulat von Tonalität Lebewohl, sondern verzichtete zudem auf metrische Rhythmen und richtete sich gegen eine von Ästhetik dominierte Musikalität. Es unterwanderte dadurch klassische Vorstellungen von Musik, Werk und Medium. Die Darbietungen von hand werk liessen dementsprechend unweigerlich die Frage nach den Minimalbedingungen von Musik aufkommen. Dies im Sinne von: Was für Komponenten sind notwendig, um etwas noch unter Musik zu fassen? Wie weit reicht unser Verständnis von Musik? Das Ensemble bewegte sich damit stets haarscharf an der Grenze zwischen Musik und anderen künstlerischen Konzepten, wie etwa der Performance- und Installationskunst. Es erkundete darüber hinaus nicht nur neue Klangwelten, sondern suchte zugleich nach neuen Umgangsformen mit und neuen Formaten von Musik. Es beabsichtigte auch neue Rezeptionsweisen in den Zuschauern zu schaffen. Solchermassen bleibt zu vermuten, der Mangel des ästhetischen Erlebnisses sei darauf zurückzuführen, dass das Ensemble hand werk mit seinen konzeptuellen Musikformaten weniger an die Ohren seines Publikums appellieren wollte, als vielmehr an seinen neuronalen Glibber. Daher wohl auch das zum Festival Klangbad beigelegte Programmheft: In wenigen Sätzen bot es dem Zuschauer Tools, das Hör- und Seherlebnis besser nachzuvollziehen und die Pointen in den sechs Werken lesbar zu machen. Antiästhetische Darbietungen Die Antiästhetik der abstrakten Arrangements verunmöglichte die Einordnung des Dargebotenen in «das hat mir gefallen» und «das ist mir gar nicht bekommen». Es bahnte vielmehr den Weg für die reflexive Auseinandersetzung mit den musikalisch neuen Konzepten. Das Hörerlebnis ordnete sich damit dem der Idee des Konzepts unter. Das Reflexionsmoment der Rezeption gewann so Überhand über das akustische Erlebnis. Dass mit dieser Art von künstlerischer Darbietung eine Intellektualisierung der Musik einhergeht ist wohl kaum zu bestreiten. Ebensowenig ist anzuzweifeln, dass die stark an die okulare Wahrnehmung gerichteten Projekte des Ensembles hand werk in Richtung visuelle Kunst tendieren. Klangbad im ehemaligen Hallenbad An diesem Wochenende wurden anlässlich des Festivals Klangbad, das vom Forum Neue Musik Luzern veranstaltet wurde, ganz unterschiedliche musikalische Projekte vorgestellt. Neben dem gestrigen Konzert des Ensembles hand werk trat heute Nachmittag die Musikformation Bristophe auf. Das 2006 gegründete Ensemble bestehend aus Brice Catherin und Christophe Schweizer schafft mit ungehörten Orchestrationen und neuen Polyphonien neue Bezüge zum Raum. Am Abend war das Programm Run Time Error des dänischen Komponisten Simon Steen-Andersen zu hören, der seine neunteilige Werkgruppe gemeinsam mit Sascha Armbruster und Mats Scheidegger vorstellte.