All Along The Surental

Sursee, Freitag, 24.06. Ein alter Mann, der eine Bob-Dylan-Maske trägt, krächzt seine Lieder in den Soorser Himmel, gut 100 Minuten und 17 Titel lang. 8000 wollten sich das antun. Hat alles irgendetwas zu bedeuten? Es berichten Urs Hangartner (normal) und Pablo Haller (kursiv).

  Im Fanzug, Luzern ab 17.30, fängt es schon an mit Vermutungen und Vorschlag zur Wette: Mit welchem Stück würde His Bobness seine Setliste beginnen? Würde es, wie in Mailand zwei Tage zuvor, «Leopard-Skin» sein oder doch eher, wie in Tel Aviv am 20.06., «Gonna Change My Way Of Thinking»? Drängende Fragen.

Wir haben dann nicht gewettet und sehen dem Konzert unbang entgegen. Es ist etwas los im Städtchen, von weit her kommen die Älteren bis Alten, darunter so genannte «Dynos», denen Bob Dylan (fast) alles auf der Welt bedeutet, sonst Angegraute, erstaunlicherweise auch etliche Junge und Zahlreiche, die man kaum bis nie an einem Konzert in der Gegend sieht. Aber zu Dylan, wenn er schon mal so nah ist, geht man (PS: Gnadenloser Investigationsjournalismus von Kulturteil ist zur Erkenntnis gelangt, dass Herr Dylan tatsächlich die Nacht von Donnerstag auf Freitag in der Suite eines Stadtluzerner Hotels verbracht hat). Hank Shizzoe, der ewig unterschätzte Spitzengitarrist aus Bern, ursprünglich Rüti ZH, darf als Supporting Act eröffnen, im Trio spielt er seinen Roots-Rock, was ihm per Bescheid des Dylan-Managements um 3:18 inmitten der Nacht bestätigt worden war. Dann ist es soweit: Drei Minuten nach 21 Uhr kommt ER, nach dem üblichen Ritual, der obligaten ironischen Ankündigung ab Band (man könnte es mal von einem Profi-Schauspieler neu besprechen lassen): «Ladies and Gentlemen, bitte begrüssen Sie den Poeta laureatus des Rock’n’Roll. Die Stimme der Gegenkultur der Sixties. Den Mann, der Folk und Rock unter einen Hut brachte, der in den siebziger Jahren Make-up auflegte und in einem Nebel von Drogenmissbrauch verschwand, der wieder auftauchte, um Jesus zu finden, der in den späten achtziger Jahren als ausgebranntes Idol von gestern abgetan wurde – und der plötzlich auf die Tube drückte und seit den späten neunziger Jahren eine Musik präsentierte, die zur stärksten seiner Karriere zählt. Ladies and Gentlemen, bitte begrüssen Sie den Columbia-Schallplattenkünstler ... Bob Dylan!» (Übersetzung aus Greil Marcus: Bob Dylans Like A Rolling Stone. Aus dem Amerikanischen von Fritz Schneider, Köln 2005)

Als Erstes covert Dylan Polo Hofers «Schlangelädergurt» von 1978. Der Meister steht rechterhand an einem Keyboard, wird gelegentlich zur Bühnenmitte schreiten, um freihändig zu singen (oder eben: «singen»), einmal in die falsche Mundharmonika zu blasen, dann sonst zu tröten – und leider auch auf der E-Gitarre zwischendurch eine Art Solo zu versuchen. Ehrfurcht allenthalben, trotz allem Unvermögen, Melodielinien zu halten, ansprechend zu phrasieren. Wer Glück hat, kann das eine oder andere Stück, zum Teil bös aus den Sechzigerjahren, identifizieren. Die auditiv Verblendeten im Publikum interpretieren das natürlich, das sei Dekonstruieren, Sich-immer-wieder-neu-Erfinden und ähnlicher Mumpitz. Siehe zum Beispiel auch hier. Aber ehrlich: Manchmal kommt einem der 70-jährige Mensch auf der Surseer Bühne droben vor wie eine schlechte Parodie auf die Parodie eines schlechten Dylan-Darstellers. Ist aber das Original selber. Der Verdacht kommt auf, ob es sich nicht doch um eine einzige grosse Zumutung handelt. Die fünfköpfige Band gebärdet sich als im unluziden Soundmix matschig aufspielende Schrammelkapelle, überhaupt entspricht der Sound in keiner Weise auch nur irgendwie dem «state of the art Rockbusiness 21. Jahrhundert». Bitte wahlweise ankreuzeln, wie das Ganze ausgefallen ist: a) blamabel b) deplorabel c) miserabel Zwischenbemerkung, Promi-Schau, etwas People-Dingens soll ja auch sein. Mit eigenen wie anderen Augen gesichtet werden in Sursee in alphabetischer Reihenfolge: Moby Arnold (Bluecerne), Diego Balli (Edison & The Bright Light), Coal (Coal), Stefan Eiholzer (Chef Regionaljournal SR DRS), Sämi Gallati (Mothers Pride), Luke Gasser (OW), Paul Huber (Ex-Regierungsrat SP), Alejandro Jimenez (Singer/Songwriter), Dr. Knobel (Kunz&Knobel), Leberhauer (Singer/Songwriter), Anian Liebrand (Gangsta-Rapper), Marco Meier (Eingeborener, Ex-Chef SR DRS 2), Roland Neyerlin (Philosoph), Beat Portmann (Autor), Claude Settele (Ex-Steven’s Nude Club), Fredy Studer (Schlagzeuger), Chris von Rohr (Kopftuchträger), Marc Unternährer (Tubist) und viele andere. Ain’t Talkin’ lautet unausgesprochen das Motto des Abends. Dylan sagt nichts, ausser, kleine Sensation, ganz zum Schluss: «Thank you, my friends», und er stellt die Band vor. Dylan hat gesprochen! Ein Zeichen! Was mag es bedeuten? Das Gekeuche und Gekrächze und Gerumpel, für welche Manifestationen man bei jeder anderen Band schleunigst das Geld zurück verlangen würde, es hat um 22.40 Uhr ein Ende. Endlich. Es ist ausgestanden. Wir haben IHN erleben dürfen. Die besten Schweizer Dylan-Interpreten heissen übrigens nicht Polo Hofer und Toni Vescoli. Es ist eindeutig und unbestritten Matto Kämpf. Seriöserweise hier noch die Setliste:

Leopard-Skin Pill-Box Hat (aka «Schlangelädergurt»), 1966 Don’t Think Twice, It’s All Right, 1963 Things Have Changed, 2000 To Ramona, 1964 Beyond Here Lies Nothin’, 2009 Make You Feel My Love, 1997 Tweedle Dee & Tweedle Dum, 2001 Tangled Up In Blue, 1975 Jolene, 2009 Ballad Of Hollis Brown, 1964 Highway 61 Revisited, 1965 A Hard Rain’s A-Gonna Fall, 1963 Thunder On The Mountain, 2006 Ballad Of A Thin Man, 1965 Zugaben: Like A Rolling Stone (aka «Wie-n es Blatt im Wind»), 1965 All Along The Watchtower, 1968 Blowin’ In The Wind, 1963 Man kann alles aber auch so sehen: Der gut gefüllte Fanzug, Luzern ab 17.30, kommt in Bewegung. Um die 80% der Fahrgäste werden das Dylan-Konzert besuchen. Das gibt so ein Gefühl von Gruppe, das einen sonst nur an proletenhaften Sportveranstaltungen überkommt. «Warum hat er seine Konzerte in China nicht, wie fast überall sonst mit ‹Blowing in the Pfadilagerfeuer ... äh Wind› beschlossen?» «Wahrscheinlich fiel das der Zensur zum Opfer.» Dafür eröffnete er mit «Gonna Change My Way Of Thinking». Ist ja irgenwie auch n Statement.» Man hört die Kleinen diskutieren wie die Grossen und diese haben so ein verklärtes, kindliches Glänzen in den Augen. Vorauseilende Gerüchte, dass Polo Hofer eröffnen wird, erwiesen sich Wochen voraus als falsch – Hofer, der seit Jahrzehnten mit «Schlangelädergurt» und vielen anderen Dylan-Plagiaten und -Halbplagiaten die Schweizer Musikhörer betört – gestern musste ich in einem Kommentar unter einem Tagi-Artikel gar erfahren, dass nicht mal die Musik von «Kiosk» selber geschrieben, sondern saufrech undeklariert abgekupfert wurde von Little Feat («Dixie Chicken»). Jetzt hat er nach Toni Vescoli die zweite mehr als grenzwertige Mundart-Dylan-Coverscheibe rausgegeben (immerhin deklariert, nach dem die 1973 erschienene Rumpelstilz-Single «Warehuus-Blues» ein dreister Diebstahl von Dylans «Just Like Tom Thumb's Blues» war). Und sein Berndeutsch ist noch zigmal sympathischer als Vescolis Zürischnure

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Item: Vorband ist Hank Shizzoe – dem einen oder anderen vielleicht bekannt aus dem Stadtkeller, wo er Saison für Saison auftritt – mit seinem Trio. Dass er spielen wird, kam erst am Morgen des Konzerts aus. Anscheinend zierte sich Dylans Management. Shizzoe und seine Mannen spielen ihren Bluesrock mit viel Spirit, letztendlich ist es aber eine undankbare Aufgabe, was sich auch in Shizzoes letzter Bemerkung: «Danke fürs Zuhören, für die, die es betrifft» spiegelt. Der Zweite Song bleibt haften. Das David-Lindley-Cover «When A Guy Gets Boobs», angekündigt mit: «Ein Lied über die Anatomie von alten Männern». Dieser (der alte Mann) kommt dann wenige Minuten nach 21 Uhr auf die Bühne, im hellgrünen Hemd, unter einem schwarzen Anzug, mit vielen silbernen Knöpfen. Und er hat – selbstverständlich – den obligaten Hut auf dem Kopf. Und steht lächelnd (!) an den Tasten und eröffnet mit «Leopard-Skin Pill-Box Hat» vom Album «Blonde on Blonde», von dem die Dylanologen sagen, es könne sein, dass es von Dylans Affäre mit der Warhol-Muse Edie Sedgwick handle. Ja, er hat keine Stimme mehr, kann nur noch ein wenig hilflos krächzen, und man fragt sich ein wenig, weshalb er sich das selbst immer wieder antut. Ist es Masochismus? Ich weiss es nicht. In erster Linie ist es einfach verdammt geil. All diese Ulkrufe, dass man die Stücke fast nicht erkenne, erweisen sich als Mumpitz. Die Kollegen von anderen Medien, wo es auch Leute gibt, die sich das Gesamtwerk in Songtiteln ausgedruckt haben, erraten die Songs jeweils nach kurzer Zeit. Gestandene Männer werden zu kleinen Kindern, vergessen sich, total auf den Moment fokussiert (auch hier wieder die Parallele zu Proletensportarten). Der Sound ist anständig, wenn auch etwas Bass lastig gemischt, vorne tanzen die alten Säcke und die Neo-Hippie-Kiddies, hinten hört und reflektiert man, diskutiert zwischen den Songs – OK, eigentlich ist das mehr Spoken Word. Aber perfektes. Elaborierte Texte und eine Stimme, der man, machte man sich nicht ständig Sorgen, dass sie verloren geht, nächtelang lauschen könnte. Einer neben mir glaubt sich im Wunschkonzert und schreit ständig «Here Comes Santa Claus» gen Bühne. Highlights des Konzerts waren das eingeenglischte Cover von Züri Wests «Mojito» («Beyond Here Lies Nothing»), wie auch «Ballad Of A Thin Man». Und sogar «Blowin' In The Wind», das ich persönlich verabscheue (Primarschultrauma), brachte His Bobness in einer hörbareren Version. Auch wenn er über «Tangled Up In Blue» strauchelte und den Rest des Konzertes gegen das Hinfallen kämpfte, Dylan hat gezeigt, wer der Meister ist – ER – und bestimmt wird er seine 1988 begonnene Never-Ending-Tour noch als Geist fortsetzten.