30.06.24
Film
Im langen Schatten der Bauprofile
Der Dokumentarfilm «Brunaupark» der Luzerner Filmemacher Felix Hergert und Dominik Zietlow zeichnet nach, wie ein geplantes Neubauprojekt ein lebendiges Quartierleben zum Erliegen bringt.
Monika Bettschen (Text)
Gedankenversunken steht eine Frau auf ihrem Balkon, während im Hof der Zürcher Wohnsiedlung Brunaupark Möbel in einen Umzugswagen geladen werden. Von nebenan, wo ein Mädchen Geige spielt, schwebt eine wehmütige Melodie zu ihr. Vertraute Klänge, die wohl bald verstummen werden.
Die Pensionskasse der Credit Suisse, die Eigentümerin des Areals, plant hier ein gewaltiges Neubauprojekt mit gut 500 Wohnungen. Ein Grossteil der bestehenden Gebäude soll abgerissen werden. Davon sind rund 400 Mieter:innen betroffen. Ab 2019 erhielten sie die Kündigung ihrer Mietverhältnisse. Die Mieterschaft setzte sich gegen das Bauvorhaben zur Wehr und erhielt dabei sogar Unterstützung von Leilani Farha, bis 2020 UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Wohnen.
Die Luzerner Filmemacher Felix Hergert und Dominik Zietlow begleiteten die Mieterschaft während drei Jahren, um die Auswirkungen des angekündigten Bauvorhabens zwischen 2020 und 2023 festzuhalten. Wobei ihr Dokumentarfilm «Brunaupark» zugleich auch das Porträt eines von starkem Zusammenhalt geprägten Quartiers ist. Und eine Würdigung seiner Bewohner:innen, die über ihre vielen Unterschiede hinweg den gemeinsamen Nenner hochhielten: den Brunaupark als ihr Zuhause.
In den ersten Minuten gibt es eine eindrückliche Szene, in der einzelne Mieter:innen das formelle Kündigungsschreiben vorlesen. So wird deutlich, um was – oder vielmehr um wen – es geht, wenn von der Neugestaltung eines Quartiers die Rede ist: um Menschen mit unterschiedlicher sozialer Herkunft, die neben ihrer Wohnung auch Nachbar:innen und manchmal sogar Freund:innen fanden. Ihre Kinder spielen zwischen den Häusern, wobei auch sie den Grundstein für neue Freundschaften legen. Doch seit einiger Zeit ragen hohe Bauprofile aus dem Boden. Am Anfang des Films überlegen die Kinder, wie viel Platz zum Spielen ihnen zwischen den Neubauten wohl bleiben wird.
Höhere Miete, weniger Platz
Wenn Baugespanne neue Projekte markieren, wird es schnell emotional. Die einen sorgen sich um das Ortsbild, anderen graut es vor dem Baulärm und wieder andere befürchten höhere Mieten.
Es ist eine Tatsache, dass die Bevölkerung wächst und es mehr Wohnraum braucht, besonders in urbanen Gegenden. Doch gerade beim verdichteten Bauen entsteht manchmal der Eindruck, dass dies ein Vorwand sein könnte, um mehr Profit zu erwirtschaften. Denn neben der Anzahl Wohnungen steigen bei Neubauten oft auch die Mieten. «Ein Zimmer weniger und 1000 Franken mehr, darauf kommt’s raus», bringt es im Film ein Familienvater auf den Punkt.
Die Kamera gleitet durch verwaiste Tiefgaragen und Treppenhäuser, vorbei an Klingelbrettern, auf denen nur noch wenige Namen stehen, und dokumentiert so das sich auflösende Quartierleben. Die bedrückende Leere wird durch ein gezieltes Sounddesign zusätzlich hervorgehoben.
Bezeichnend ist auch die Geschichte von Ciccio, der 28 Jahre lang ein Restaurant führte und es zu einem Begegnungsort im Viertel machte, wie sich ein älterer Mann erinnert. Am letzten Tag vor der Schliessung kann Ciccio die Emotionen nur mit Mühe zurückhalten. «Es ist fertig, morto, dead, tot.»
Die leergewordenen Wohnungen werden im Sinne einer Zwischennutzung temporär an Geschäftsleute, digitale Nomad:innen und Studierende vermietet, die auch mal gerne feiern. Das führt zu Spannungen mit den Alteingesessenen. Felix Hergert und Dominik Zietlow gelingt es, in nuancenreichen Einstellungen sichtbar zu machen, wie bei solchen Grossprojekten der Faktor Mensch oft auf der Strecke bleibt. Und wie das einst von gegenseitiger Rücksichtnahme geprägte Miteinander unaufhaltsam zu einer vagen Erinnerung verblasst. So singt etwa eine klassische Sängerin inbrünstig inmitten der leeren Häuser gegen den Zeitgeist an: «In meinen Träumen bleibst du.»