Betty, Zorg und ihre Welt

Luzern, Theater Pavillon, 17..8.2012: Manchmal findet einen und eine das Glück. Oft stellt es sich nicht ein. Wie bei Betty und Zorg, die im Theaterstück «Betty Blue» nach dem dritten Roman von Philippe Djian nach Glück und Freiheit suchen und an der Welt, wie sie ist, gleichsam zerschellen. Vorzüglich auch und nicht zuletzt in dieser Inszenierung: die Musik!

(Von Alexander Nikopol)

Die Älteren unter uns erinnern sich: Ein Kulturoman aus dem letzten Jahrtausend (1985), geschrieben von einem französischen Autor, Original-Titel «37˚2 le matin», nachmalig von Jean-Jacques Beineix mit Beatrice Dalle in der Titelrolle verfilmt. Der französische Autor Philippe Djian ist bei uns nicht nur wegen seiner bei Diogenes auf Deutsch erschienenen Bücher zum Begriff geworden. Der Nämliche hat auch Songtexte für Stephan Eicher geschrieben («Déjeuner en paix»). Und jetzt eine Luzerner «Betty Blue». Das aus Theater-enthusiasmierten Twenty-Somethings bestehende Kernteam mit Noemi Wyrsch (Drehbuch, Regie), Joel Kammermann (Schauspiel) und David Lichtsteiner (Musik) hat sich an eine dritte Produktion gewagt. Es ist eine eigene Adaption des Stoffes auf der Grundlage des Romans. Da ist Betty, die Leidenschaftliche und Nach-freiem-Leben-Sehnsüchtige und Glück-Suchende. Da ist Zorg, der Schriftsteller, der bescheiden in ihm steckt, der aber am Sommerstrand im Ferienpavillondorf jobben muss und übers landesübliche Mass hinaus Bier in sich schüttet. Da ist die grosse Liebe der beiden, eine Wahnsinnsliebe, d.h. eine, die sich am Ende bitter nicht erfüllen darf. Das Stück arbeitet mit der Rahmenkonstruktion eines das Geschehen im Nachhinein kommentierenden zweiten Zorg im Wechsel mit den vorzeitigen Handlungen. Wie Betty und Zorg sich treffen und heiss lieben, wie der Alltag öd ist und ein Chef die beiden kujoniert, wenn sie 150 Holzpavillons anstreichen müssen und den Bettel hinschmeissen. Wie sie fortziehen zu Bettys Schwester Lisa und deren Mann Eddy und deren Klaviergeschäft temporärer übernehmen. Oder es wenigstens versuchen. Wie Betty zusehends an den Anforderungen der wirklichen Welt zerbricht, sich selbst zerstümmelt, hospitalisiert, psychiatrisiert wird und schliesslich letal endet. Die Dämonen, die Betty heimsuchen, lassen auch nach ihrem Tod nicht nach und verfolgen nun den überlebenden erzählenden Zorg. Als Bühnenbild reichen ein Bett und ein Tisch. Es agieren der Erzähler, die Darstellenden von Betty und Zorg sowie zwei weitere, die gleich mehrere Rollenwechsel vollführen (Dämonen, Strand-Chef, Bettys Schwester und Schwager, eine sackdumme Fast-Kundin im Klavierladen, Polizisten-Paar, Spitalpersonal, ein Raubopfer). Und dann ist da die Musik. Und was für eine! Traurige und fröhliche. Sie kommt uns irgendwie bekannt vor. Wir erkennen Stücke mit Titeln wie «Ya-Ya», «Mesecina», «In The Deathcar», «Ederlezi», «This Is A Film», «Ausencia». Es sind Stücke aus Filmen mit Titeln wie «Arizona Dream», «Underground», «Time Of The Gypsies», allesamt von Regisseur Emir Kusturica. Die Originalmusik stammt von Goran Bregovic. Im Stück wird es auf der Bühne von einem ausgewachsenen Oktett formidabel gespielt, es hat zünftiges Gebläse, wehmütig Verwehtes und auch eine herzzerreissende A-cappella-Version von «Ederlezi». Respekt für ein von Leidenschaft und viel Krampf zeugendem Engagement, für eine idealistisch realisierte Produktion, möglich gemacht auch dank öffentlichem städtischen Kulturgeld und Crowdfunding Betty Blue,

Theater Pavillon Luzern; Aufführungen: heute Sa, 18.8., sowie 19., 23., 24., 25.8., jeweils 20.00, Vorverkauf: Musik Hug Luzern