Helle Momente und dunkle Momente

Entrückter Folk zwischen Mittelalter und Moderne? Experimenteller Kirchengesang? Wenn das katalanische Frauenduo Tarta Relena ihre Stimmen erhebt, verstummen die Gedanken.

Trotz leicht reduzierter Form bieten die Stanser Musiktage dieses Jahr wieder ein breites Spektrum spannender Musik auf verschiedenen Bühnen. Zum Beispiel: die marokkanische Sängerin Oum. Kali Malone an der Kirchenorgel mit dem Drone-Musiker Stephen O’Malley. Das Bieler Trio von Roman Nowka mit Gastsänger Stephan Eicher. Famm mit alten Volksliedern in neuen Arrangements. Der experimentierfreudige Tashi Dorje allein mit Gitarre. Oder die Jazz-Koryphäe Bill Frisell mit einem Trio, das live Filme vertont.

Zurzeit sehr angesagt ist das katalanische Duo Tarta Relena mit den beiden Sängerinnen Helena Ros und Marta Torrella. Mit ihrer Auswahl von alten mediterranen Volksliedern und gregorianischen Melodien, die sie mit Stimmen und Elektronik neu interpretieren, schlagen die beiden Frauen eine Brücke vom Mittelalter in die Moderne. Wir haben dem Duo ein paar Fragen geschickt.

Alte Melodien und zeitgenössischer Sound: Was hat euch an diesem musikalischen Konzept gereizt?
Unser Gesangsleben begann in Chören, in denen wir Vokalmusik aus so ziemlich jeder historischen Epoche gesungen haben. Dort lernten wir viel Repertoire aus der Renaissance und dem Barock kennen. Später begannen wir, traditionelle und volkstümliche Musik auf eigene Faust zu erforschen. All dies ist zu unserem Rohmaterial geworden. Aber unser musikalisches Interesse ist sehr vielfältig und pluralistisch. Deshalb wollten wir bei der Produktion der Songs auch experimentieren.

Inwiefern berühren euch im 21. Jahrhundert die traditionellen Lieder aus dem mediterranen und sakral-gregorianischen Umfeld? Welche Art von Beziehung habt ihr zu ihnen?
Es ist eine Art Repertoire, das die Stimme stärkt. So können wir uns total auf sie konzentrieren und das Beste aus ihr herausholen. Natürlich fühlen wir uns mit den Melodien und Stücken, die wir singen, sehr verbunden. Wir sehen keine Barriere darin, dass sie alt sind, im Gegenteil. Es ist wundervoll, wenn wir uns mit solch traditioneller Musik verbinden können: wahrscheinlich, weil sie total bedeutungsvoll und berührend ist.

Wie setzt ihr den elektronischen Teil im Konzert um?
Die elektronischen Sounds stammen von Juan Luis Batalla und Òscar Garrobé, die auch unser Album «Fiat Lux» produziert haben. Im Live-Set verwenden wir einige Teile der Elektronik aus dem Album in Kombination mit anderen Sounds, die wir auf der Bühne erzeugen.

 

Unser Musikgeschmack ist sehr eklektisch. Er reicht von klassischem Flamenco bis zu Björk, traditionellen griechischen Liedern bis zu Arca, Eartheater, lokalen Underground-Bands aus Katalonien.

 

Wie habt ihr eure wunderbaren Stimmen entwickelt?
Schon in der Kindheit wurden wir musikalisch ausgebildet. Marta hat Klavier und Klarinette studiert, Helena Cello. Auch haben wir viel im Chor gesungen. Zuerst wollten wir im Duo singen und Gitarre spielen, aber das funktionierte nicht wirklich. So liessen wir die Instrumente beiseite und konzentrierten uns auf ein Repertoire, das den A-cappella-Gesang zur Geltung bringt. Manchmal helfen einem die eigenen Grenzen, über den Tellerrand zu schauen und neue Wege zu finden, um sich mit dem, was man tun möchte, wohlzufühlen und glücklich zu sein. Später nahm Marta Flamenco- und Jazzgesangsunterricht und Helena vertiefte sich in lyrischen Gesang. Das Ergebnis ist die Kombination aus beiden Techniken und weiteren Experimenten.

Welche Art von Musik hört ihr selbst, welche Szenen interessieren euch persönlich?
Unser Musikgeschmack ist sehr eklektisch. Er reicht von klassischem Flamenco bis zu Björk, traditionellen griechischen Liedern bis zu Arca, Eartheater, lokalen Underground-Bands aus Katalonien, Meisterwerken des Barocks und der Renaissance, Künstler:innen aus der Elektronikszene, Pop, Rock, Contemporary-Experimental …

Könnt ihr etwas über das Programm sagen, das ihr am Festival in Stans präsentieren werdet?
Wir werden das Album «Fiat Lux» singen, das wir im vergangenen Oktober veröffentlicht haben. Für uns ist es eine Reise durch verschiedene emotionale Phasen, die der Mensch durchlebt, egal in welchem Jahrhundert, egal in welcher historischen Zeit. Helle Momente manifestieren sich zyklisch neben dunklen Momenten. Wir können also nachempfinden, was unsere Vorfahren zum Ausdruck brachten, da wir wahrscheinlich dieselben Gefühle erleben.


Stanser Musiktage
MI 27.04. bis SO 01.05.2022

Tarta Relena
SO 01.05 – 16.30 Uhr
Gnadenkapelle Niederrickenbach

Weitere Infos zum Programm auf stansermusiktage.ch


041 – Das Kulturmagazin April 04/2022

Interview: Pirmin Bossart
Bilder: Duna Vallés und Clàudia Torrents

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