Songs of work?

Trotz Corona, gerade wird weltweit demonstriert: gegen soziale Ungerechtigkeit, fürs Klima, gegen Rassismus. Doch der musikalische Mainstream bleibt ohne Message, sagt unsere Autorin, politische Werke werden nur noch für eine «upper class» geschrieben. Eingängige Protestsongs wurden in den letzten Jahren abgelöst durch Social-Media-Posts. Muss Musik, müssen Musikschaffende politisch sein? Ein Essay.

Bild: Wendi Wei / Pexels

1954 veröffentlichte Billie Holiday ihre Version von «Strange Fruit», ein Stück, 1939 geschrieben von Abel Meeropol. Holidays’ Cover wurde zur Hymne gegen den amerikanischen Rassismus und die Lynchmorde an Afroamerikanern im Süden der USA. Ein Song, welcher gerade momentan mit der «Black Lives Matter»-Bewegung und dem Mord an George Floyd an Aktualität gewinnt.

Auch Bob Dylan, Singer-Songwriter, Autor und «visual artist», lieferte gerade in den 1960er-Jahren einige Bürgerrechts- und Anti-Kriegs-Hymnen. Sie wurden – gemeinsam mit anderen – zum Soundtrack der 68er-Bewegung.

Dies sind nur zwei Beispiele aus verschiedenen Epochen, mit jeweils anderen Hintergründen und Intentionen. Und doch haben sie einiges gemeinsam: Einen Teppich an ungemein ehrlichen, direkten und fordernden Statements in Wort und Klang, sowie die verschiedenen Geräusche der Bürgerrechtsbewegungen jener Zeiten. Voneinander zu unterscheiden, aber im Grunde doch irgendwie ähnlich.

Heute wagen nur noch wenige Bands, politische Statements in Klang umzuformen. Wieso eigentlich? Was ist aus den Statements geworden, welche unter die Haut gehen? Die häufigste Protestform ist heute die Demonstration. Welche sind dort (oftmals) die Geräusche, die zu hören sind? Megafone, Parolen, und Geschrei. Oder aber: Stille, wie an der Luzerner Schuhdemo der Gruppe «Klimastreik Zentralschweiz» Mitte Mai.

Apolitische Jugend?

Mir wurde kürzlich die Frage gestellt, ob unsere Jugend denn eigentlich apolitisch (geworden) sei.  Man will entgegnen: nein. Viele junge Menschen meiner Generation beschäftigen sich aktiv oder passiv mit politischen Fragen. Doch aus der Sicht der Musik stellt sich schon die Frage: Warum gibt es musikalisch keine gemeinsame Linien? Warum fehlt der politische «Sound der Zeit»?

In anderen Epochen wurde Musik im Kollektiv mit Lebensumständen und Gefühlen verknüpft, als Instrument (freudscher Versprecher intendiert) benutzt, dem eigenen Unwohlsein in der Gesellschaft Gehör zu verschaffen. Man kann argumentieren, dass der «Sound der Zeit» nur rückwirkend als solcher wahrgenommen wird, weil oberflächlich gesehen gewisse politische Bewegungen mit einem bestimmten Sound verbunden werden. Das würde heissen, dass ein «Sound der Zeit» rückblickend konstruiert wird. Denn nicht jede*r hörte in den 1960er-Jahren Bob Dylans Musik. Jeder Musikstil war und bleibt ein Szenenphänomen – einen Universalsound einer Epoche gibt es so nicht.

Es scheint also, als wären Protestsongs leise und schleichend durch die sozialen Medien ersetzt worden.

Und trotzdem: Zwar lassen viele Musiker*innen auch heute politische Aussagen in ihr musikalisches Schaffen einfliessen, nur merkt man davon erheblich weniger. Dies, weil eben ein popkulturelles instrumentalisiertes Genre fehlt, welches dem Ganzen einen bestimmten Stempel aufdrückt.

Anders auf Social Media, schnelllebige Eintagsfliege, welche von Musikschaffenden oft als Kanal für politische Statements benutzt wird, wie es scheint öfter noch als ihr künstlerisches Schaffen selbst. Zuletzt mit der «Black Out Tuesday»-Aktion, bei der auch Musikschaffende ein schwarzes Quadrat posteten, um ihre Solidarität mit der BLM-Bewegung auszudrücken und symbolisch die Lichter in den Instagram-Feeds zu löschen.

Da stellt sich die Frage, ob Instagram und Co. die Musik in ihrer Botenform abgelöst haben. Im letzten Jahrhundert generierte die Musik eine Möglichkeit, Menschen schnell und individuell zu erreichen. Heute haben wir das Smartphone meist griffbereit, und den Finger schneller auf Social-Media-Apps, als dass wir es merken. Es scheint also, als wären Protestsongs leise und schleichend durch die sozialen Medien ersetzt worden.

Nische braucht Bildung

Viele der aktuellen politischen Kompositionen oder Installationen bewegen sich in Sparten, geschrieben von akademisierten Kunstschaffenden. Die Werke setzen damit einen gewissen Bildungsstand voraus, um die politische Message darin auch zu verstehen und ein Stück somit als politisch wahrzunehmen.

Der «politische Sound von heute» ist exkludierend, ist Musik für Akademiker*innen.

So formuliert beispielsweise das Basler-Berlinerische «Bottom Orchestra» unter der Leitung von Bassist Kaspar Grünigen mit ihrem Programm «Songs of Work» ein «Unbehagen gegenüber unserem Gesellschaftsmodell», wenn nicht ein Unbehagen gegenüber unserer heutigen Gesellschaft im Allgemeinen. Grünigen sendet seine Botschaften in Form von raffinierten, durchdachten, zeitgenössischen Kom­positions- und Improvisationstechniken. Seine Band schafft es, Geschichten zu erzählen, die nicht nur durch Worte formuliert werden.

Dabei stellt man fest, dass die Art, wie Botschaften gesendet werden, grundsätzlich egal ist, wenn alle vom Gleichen zu sprechen versuchen. Das bedeutet aber auch, dass politische Musik heute vor allem Futter für Menschen mit einem gewissen Bildungsniveau ist. Der «politische Sound von heute» ist exkludierend, ist Musik für Akademiker*innen – es ist ein «Sound der upper class».