«Was wir alle lieben»

Braui Hochdorf, Sa, 14.11.2015: Ihr exklusiver Schweiz-Halt auf der aktuellen «Alpenländischen Qualitätstour» führte die Berliner Element Of Crime ins Seetal. Der veranstaltende Kulturverein Ballwil MasterMusic zügelte dafür eine Gemeinde weiter. Wer’s verpasst hat, ist selber schuld.

(Bilder Charlotte Goltermann)

Sie waren ja schon öfter in der Gegend. Die Älteren unter uns erinnern sich an den Frühling 1994. Damals pilgerte die halbe Stadt Luzern nach Sempach, um in der dortigen Festhalle einer Berliner Band zu huldigen, die die Herzen und die Hirne mit ihrem deutsch gesungenen Chanson-Pop erwärmte. Schüür, Boa, KKL (diesen Sommer bei Blue Balls) waren Spielorte von Element of Crime (EOC). Und jetzt auf dem Lande.

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Und gleich noch eine regionaler Bezug: Die offiziellen Pressebilder zur jüngsten Scheibe «Lieblingsfarben und Tiere» wurden letztes Jahr auf einem Ausflug gemacht, der offenbar Richtung Rütli führte. Die Bilder (von EOC-Managerin Charlotte Goltermann) zeigten die Band auf dem Vierwaldstättersee und gemütlich draussen beim Wirtshaus zur Treib hockend. Jetzt aber Hochdorf. Sven Regener kommt gegen 20 Uhr auf die Bühne und sagt, was man denn tun, was man sagen könne angesichts der Ereignisse vom Vorabend in Paris mit den ungeheuerlichen Taten von Leuten, «die all das hassen, was wir alle lieben». Am besten wohl Musik machen. Und Regener kündet die Vorgruppe an. Es sind Apples In Space, ein norwegisch-berlinerisches Frau-Mann-Duo mit akustischer Gitarre, etwas Keyboard und Doppelgesang. Ganz ansprechend, was Julie Mehlum und Phil Haussmann mit ihrem Alt/Indie-Folk zu bieten haben. Auf ihrem Album-Debüt «Apples In Space» (2015) spielt auch ein gewisser Sven Regener als Gast mit; produziert wurde es von Richard Pappik, seines Zeichens Drummer von EOC. Er kommt fürs letzte Stück des Duos auf die Bühne, um mitzutrommeln. Dann kommen sie: Sven Regener (Gesang, Gitarre, Trompete), Jakob Ilja (Gründungsmitglied, Gitarre), Richard Pappik (Urmitglied, Schlagzeug, Mundharmonika), David Young (Bass; der Engländer in der Band, er nahm in seiner Funktion als Toningenieur anno 1987 die von John Cale produzierte EOC-Platte «Try To Be Mensch» in London auf, ab 1993 Live-Gitarrist der Band und seit 2002 festes EOC-Mitglied). Dann noch, seit vielen Jahren als fünfter Mann live dabei, Rainer «Theo» Theobald (Sax und Klarinette). Sein Spiel sorgt für schöne klangliche Erweiterungen.

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Das Konzert wird insgesamt zwei Dutzend Titel bringen. Interessanterweise aus allen Schaffensperioden der Band, also aus bald einmal drei Jahrzehnten EOC, angefangen beim genannten, noch englischsprachigen «Try To Be Mensch» (mit «Don’t You Smile») bis zum fast vollständig gespielten jüngsten Album «Lieblingsfarben und Tiere». Die Musik ist das gewohnte und geschätzte gekonnte Gerumpel, sympathisch vorgetragen. Lieder mit Texten von Chefromantiker/-melancholiker und -lakoniker Regener, der bekanntlich «nebenbei» noch eine ganze Reihe Bestseller-Romane geschrieben hat. Und der auch extraordinär vorlesen kann, im Fall: Man höre den von ihm integral gesprochene «Magical Mystery» oder aber auch seine Kafka-Interpretation «Amerika» als Hörbuch. In Hochdorf singt er, spielt er berückend Trompete und sagt angenehm wenig, immer wieder ehrlich «vielen Dank», und ab und zu mal eine kurze Erläuterung zu einem Song. Wie etwa Konzert-Track Nummer 5, ab einem Nicht-EOC-Album stammend, nämlich von der Songsammlung, die EOC zum Film «Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe» (2008) beigetragen haben. «Liebe ist kälter als der Tod», auf «Lieblingsfarben...» zu finden, entspricht dem Titel eines Films von Rainer Werner Fassinder, für alle, die es nicht gewusst haben sollten. Zweimal wird es auf der kleinen EOC-Zeitreise englisch, mit «Don’t You Smile» (1987) und «Love And Happiness» (1988), wofür sie Apples In Space auf die Bühne holen zum Chörli-Singen. Das geht ziemlich zur Sache, und anschliessend kommentiert Regener das laute Treiben scherzend so: «Ja, wir können schon auch anders...» «Der Mann vom Gericht» ist auch eine alte Nummer, gar der allererste deutschsprachige Song von EOC, als einziger auf dem ansonsten eben noch englischen Album «The Ballad Of Jimmy & Johnny» (1989). Wunderschön auch der Theatersong «Immer nur geliebt», entstanden für eine «Peter Pan»-Produktion in Bochum (2000). Gesungen auf der Bühne von Käptn Hook, damals dargestellt von Margit Carstensen, «die auch eine grosse Fassbinder-Schauspielerin war – so schliessen sich die Kreise» (Regener) PS: Das Lied war übrigens einst, vor 8 Jahren, in einer Mundartversion auch in Horw hörbar, als in der Zwischenbühne «Peter Pan» gegeben wurde. Nach allem, wieder einmal, war klar: Wenn Poesie sich mit Rockmusik verbindet, alles laut und deutlich auch verständlich ist, dann, ja dann sind wir in einem Konzert von Element Of Crime. Irgendwann während des Konzerts, ich hatte gerade nichts Dümmeres zu tun, kommt mir der fragende Gedanke: Was wäre eigentlich das Äquivalent zu «Weltliteratur», musikalisch betrachtet? «Weltmusik» geht ja nicht, das bedeutet etwas anderes. Vielleicht einfach so: Weltklasse. Und erst noch auf dem Lande.

Nächste Mastermusic-Termine Pedro Lenz: Morgengeschichten, Fr, 11.12., 20.00, Aula Schulhaus Ballwil Heinz de Specht: Party, Fr., 8.1.2016, 20.00, Gemeindesaal Ballwil