Leben und Sterben in Stans

Theater Stans, Samstag, 24.1.2015: Volker Hesse inszeniert in Stans Theresia Walsers Stück «King Kongs Töchter», von ihm einst selber uraufgeführt. Auch 16 Jahre danach und in Mundart funktioniert die im Alters- und Pflegeheim spielende morbid-makabre Groteske.

(Bilder Theater Stans/PD)

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Frau Tormann wird morgen 80. Das wird im Heim im Essstübchen gefeiert, das hübsch partymässig dekoriert ist. Frau Tormann hat, in ihrem Rollstuhl sitzend, ein Kassettentonbandgerät auf dem Schoss. Sie hört eine Gratulations- und Grussbotschaft ihres Sohne Winnie, der nicht kommen kann und sich wieder mal indirekt meldet, von irgendwo her in der weiten Welt, wo er geschäftlich zu tun hat. Frau Tormann wird ihren runden Geburtstag nicht mehr erleben. Denn die Alte ist jüngstes Objekt in der Reihe von Sterbeinszenierungen der drei Pflegerinnen Berta, Carla und Meggie. In einem gespenstisch anmutenden Herrichtungsritual machen die drei Frau Tormann mit Schminke, Bürste und Lippenstift zu einem Ebenbild der Hollywood-Sexgöttin Mae West. Dergestalt aufgemotzt, wird Frau Tormann in der Nacht auch prompt von den Lebenden zu den Toten befördert, geradezu glamourös. Schliesslich: «Stärben isch chli gnueg, da chamer scho öppis übertriebe.»

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Ihre Arbeit, die aufopferungsvoll bleibt, verrichten sie mit der ihnen angemessen erscheinenden Rabiatheit. Sie füttern und putzen, binden Lätze um, wechseln Windeln und «Schiissibiitel», als «Greisendompteusen» oder «Pflegegespenster». Einer Inkontinenten geht es hinten im klinisch-kalten, gekachelten Raum per Schlauch an den Kragen. Gerne träumen sie sich nach anderswo: Das gilt für die Pflegerinnen ebenso wir für die Heimbewohnerinnen und -bewohner. Meggie etwa hintersinnt sich so: «Da isch nid mi Bruef. Ich frag mich, ob das öberhaupt es Bruef isch.» Der «Dichter» Pott, der sich beschwert, dass die gelben Vorhänge in seinem Zimmer ihn zum Urinieren verleiten, himmelt sie an. In einem Sehnsuchtsmonolog formuliert Greti erotische Fantasien. Immerhin wird sie später mit dem jungen Abenteurer Rolfi, der auch zu Tode kommt, füsseln. Rolfi, der unverhofft im Heim auftaucht, wird vorher prompt von den drei Pflegerinnen vernascht.

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Alle sind sie lädiert im Reich der Rollstühle und der Rollatoren, physisch und psychisch, vom Schlaganfall gezeichnet oder dement. Hildi erkennt ihren Ehemann Albert nicht mehr, einer wiederholt nur seinen einen Witz mit dem eigenen Namen Nübel («Grosses n und kleines Übel»). Das Heim ist ein trostloser Ort. Endstation. Ein Hort der Überforderung, welcher die drei Pflegerinnen mit ihrem makabren Treiben begegnen. Das ist von einem buchstäblichen tödlichen Witz, von abgründiger Komik. Gegeben wird es auf der Bühne der Stanser Mürg in beeindruckenden Bildern. Natürlich ist das alles irritierend: Es ist äusserst tragisch und zum Lachen, man leidet mit und befreit sich aus der Beklemmung mit Heiterkeit. Angelegt ist es als Groteske, fernab vom Anspruch, irgendwie realistisch-dokumentarisch sein zu wollen. Da hilft die aphorismusreiche Stücktext mit seinen Übertreibungen. Und ganz beachtlich auch, dass in Stans bei aller theatraler Künstlichkeit und Überdrehtheit dank des teilweise echt alten Ensembles doch ein Stück gespielter Wahrhaftigkeit zustande kommen kann. Wie wir mit Demenz, Alter, Sterben, Pflegepolitik und anderen individuellen und gesellschaftlichen Problemfeldern des Stücks umgehen, ist dann wieder eine andere Sache. Lösungen bietet das Stück keine. Da müssen wir, angestossen durch das Theater, selber weiterdenken. Eine ebenso eindringliche wie anregende Vorlage dazu bietet diese Stanser Inszenierung von «King Kongs Töchter».

1998 wurde «King Kongs Töchter» am Zürcher Theater Neumarkt uraufgeführt. Volker Hesse war damals Co-Direktor des Hauses und verantwortete selber die Regie von Theresia Walsers Stück. Die heimische Presse verriss die Inszenierung (und den Stücktext) hämisch, derweil die ausländischen Feuilletons «King Kongs Töchter» in hohen Tönen lobten («eines der witzigsten und intelligentesten neuen deutschen Theaterstücke», so etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung). Autorin Theresia Walser, die Tochter von Schriftsteller Martin Walser, wurde im Jahr der Uraufführung in der Kritikerumfrage der Zeitschrift «Theater heute» zur besten Nachwuchsautorin gewählt.  Volker Hesse, Jahrgang 1944, ist schon eine Weile recht theateraktiv in der Innerschweiz. Zweimal (2000 und 2007) führte er bei Thomas Hürlimanns «Das Einsiedler Welttheater» Regie, zweimal inszenierte er in Altdorf Schillers «Wilhelm Tell» (2008, 2012); bei der Südpol-Eröffnung 2008 zeigte er Hürlimanns «Stichtag» und 2013 zeichnete er in Luzern für die Regie zu Beat Portmanns Freichlichtspiel «Wetterleuchten» auf Tribschen verantwortlich.  

«King Kongs Töchter» Schauspiel von Theresia Walser; Regie: Volker Hesse; Übersetzung: Jana Avanzini; Raum: Barbara Pfyffer; Klangeinrichtung: Philipp Scherrer; Kostüme Irène Stöckli; Choreografische Mitarbeit: Nuria Prazak; Maske Anna Mischol, Roger Niederberger; Lichtdesign: Martin Brun Franziska Stutz (Berta), Olga Businger (Carla), Raphaela Leuthold (Meggie): Beatrice Gamma (Frau Greti); Maja Schelldorfer (Frau Albert), Albert Müller (Herr Albert), Guido Dillier (Herr Pott), Seppi Blättler (Herr Nübel), Isabel Käslin (Frau Tormann), Pius Bucher (Rolfi): Heimbewohner: Pia Murer, Irène Bösch, Diego Wyrsch, Erwin Straub, Fritz Bösch; Markus Omlin (Frau Tormanns Sohn Winnie, Kassettenstimme) Aufführungen bis 28. März 2015, Theater Stans an der Mürg; www.theaterstans.ch _0FAV_DSC5827TheaterStans_KingKongsToechter5