Zuhause? Daheim!

Der Luzerner Künstler Benedikt Notter stellt zur Zeit im Café Arlecchino sein Werk «ZUHAUSE - Zwölf Bilder für ein Jahr» aus. Zeit, sich Zeit zu nehmen und umzuschauen. Eine Laudatio von Armin Meienberg

Bei uns ZUHAUSE hängt ein Kalender in der Küche. Darin eingetragen stehen gut lesbar, wichtige Termine, wie Zahnarztbesuche, wann die Katze entwurmt werden muss, Papiersammlungsdaten und der Geburtstag der Schwiegermutter. Der Kalender ist ein Instrument zur Verwaltung des Alltags. Darin wird notiert, was erledigt werden muss. Unsere Träume und Wünsche haben im Kalender nichts zu suchen – die stehen in den Sternen. Der Kalender hängt ZUHAUSE, und das ist dort wo es Hausarbeit, Hausordnung, Hausaufgaben und Hauswarte gibt. ZUHAUSE ist selten auch DAHEIM. Das habe ich schon früh herausgefunden. Wenn mir in der Schule der Lehrer befahl: «Pack deine Sachen und geh HEIM!» ging ich sicher nicht nach HAUSE, denn dort wartete meine Mutter mit dem Teppichklopfer. Das ist der Unterschied: DAHEIM fühlt man sich. ZUHAUSE «IST» man. Und das ist oft anstrengend. DAHEIM kann irgendwo sein. Das ZUHAUSE hat immer eine Adresse. DAHEIM ist eine blühende Blumenwiese. ZUHAUSE steht der Fikus Benjamin. DAHEIM kann man träumen. ZUHAUSE richtet man sich ein: Es gibt immer was zu tun. Geht einmal an einem Samstagnachmittag in den Hornbach. Ihr glaubt gar nicht, wie viele Leute sich im Baumarkt DAHEIM fühlen. Wer die Bilder von Benedikt Notter genau betrachtet, dem wird das ZUHAUSE noch etwas ungemütlicher. ZUHAUSE hat für ihn nichts mit einer grunzenden, sonntagnachmittäglichen Sofagemütlichkeit zu tun. Kein Reinigungsmittel kommt gegen die überbordenden Ideen und Fantasien von Benedikt an. Sie sind widerborstig und hakenbesetzt; alptraumhaft für jedes Putzunternehmen. Ein Horror für jeden Staubsauger! Von wegen «Schöner Wohnen». Im Gegenteil! Benedikt Notter hat dem Begriff Kleingeistigkeit eine horizonterweiternde Dimension gegeben. Was in seiner Vorstellung ZUHAUSE alles passieren kann, zeigen uns Hunderte von kleine Wesen, die wie die Staubmilben im Teppich durch die Bilder wusseln. Verglichen mit Benedikt Notter war Hieronymus Bosch ein fantasieloser Langweiler, ein richtiger Stubenhocker. Wer genau beobachtet, was Benedikts skurille Hausbewohner alles erleben und anstellen, dem wird der Künstler auch ein bisschen unheimlich. Nie mehr werde ich mich getrauen, Benedikt mit den Worten zu empfangen: «Komm herein und fühl Dich wie ZUHAUSE!» Das könnte ins Auge gehen. Benedikt Notters Zeichnungen sind von einer empfindlichen Eidotterhaftigkeit, die bei der kleinsten Berührung zerplatzt und ihren tiefsinnigen Inhalt unkontrolliert in die Freiheit entlässt. Der Gestalter hat die zwölf Bilder zu einem Kalender zusammengeklebt: Zwölf Bilder für ein Jahr. Benedikt hat damit etwas Lobenswertes gemacht, denn der Kalender ist ein vom Aussterben bedrohtes Kulturgut. Dabei ist der Kalender so erfrischend altmodisch, so unhandlich, unpraktisch und grossformatig. Dagegen wirkt das megageile I-Phone einfach spiessig. Ich kann mich noch erinnern, dass es in Luzern einmal eine Kalenderfabrik gab. Irgendwie ging mit dem Verschwinden des Kalenders auch die Zuverlässigkeit, die Verbindlichkeit und die Pünktlichkeit bei den Menschen verloren. In Bendikts Kalender kann ich mich auch DAHEIM fühlen, einen Termin eintragen kann ich auf diesen Seiten nicht. Dieser Kalender ist wohltuend vom Balast der Nützlichkeit befreit und mit Bilder von hohem künstlerischen Wert bestückt. Trotz dieser ästhetischen Betonung auf das Wesentliche wird er zwar nie die Auflage und Verbreitung eines Pirellikalenders ereichen, aber genauso kultverdächtig ist er trotzdem. Die Bilder sind keinem bestimmten Monat zugeordnet. Auch der Zeitpunkt, wann das Blatt abgerissen wird, bestimmen wir selber. Wir können unser Lieblingsbild selber wählen und das ist die Krux, denn die zwölf Illustrationen sind allesamt gelungen. Mein Ratschlag: Kauft gleich zwölf dieser wunderbaren Blätterwerke! Und hängt sie dort auf, wo ihr DAHEIM seid. Die Bilder werden euch immer daran erinnern, dass es auch ein ZUHAUSE gibt. Die Ausstellung dauert noch bis zum 20. Januar 2010. Der Kalender ist hier bestellbar.