Wohlfeile Schreckmümpfeli

Weshalb über seinen «Gothic Folk» schwatzen, wenn man doch diesen sprechen lassen kann? Interviews gibt Emily Jane White nicht so gerne, wir haben die Kalifornierin am Freitag trotzdem befragt und uns anschliessend, mit den kargen Antworten der Sängerin im Hinterkopf, von ihrem Auftritt im Treibhaus aufs Schönste befrösteln lassen.

(Von Michael Gasser)

Teil 1, das Interview. Hungrige Künstler sollte man nicht interviewen. Vor allem nicht, wenn sie zudem eine neunstündige Busfahrt und den Soundcheck hinter sich, aber ihren Auftritt noch vor sich haben. So wie Emily Jane White. Die Amerikanerin, eben erst aus Marseille eingetroffen, beantwortet zwar die Fragen höflich, aber geradezu aufreizend einsilbig. Schliesslich lockt das Essen. Ja, sie habe mal in einer Punkband gespielt. Dass sie heute nicht mehr auf maximal drei Akkorde, nicht mehr auf übersteuerte Gitarren und Brachialtempi setzt, erklärt sie mit der Tatsache, dass ihr Vater ihr halt seine akustische Gitarre geschenkt hätte. So habe sie mit 21 begonnen, eigene Songs zu schreiben. «Irgendwie war dann keiner da, mit dem ich die hätte spielen können.» Weshalb sie fortan auf sich selber setzte. Punkt. White sagt, dass ihre Musik für sie kathartisch wirken soll. Dinge müssen raus, müssen niedergeschrieben werde. Es ihr Job, traurige Lieder zu schreiben, erklären könne sie das nicht, das sei etwas, das sie einfach wisse. Punkt. Mit, für einmal, Nachdruck betont sie, dass ihre Texte nicht von ihr handelten. «Ich würde nie etwas zu Persönliches in meine Lyrics fliessen lassen.» Und wenn, dann würde sie es wohl nicht zugeben, schliesslich geht’s bei White häufig um Tod, Verderben und nochmals Tod. Wie etwa in «Sleeping Dead» von ihrem Debütalbum «Dark Undercoat», wo die Protagonistin ihre Mutter bittet, sie doch lebendig zu begraben. Edgar Alan Poe, aufgepasst. Die 28-Jährige meint, sie sei vom Tod fasziniert, weil der für uns alle ein grosses Mysterium bleibt. Punkt. Und tschüss.

Teil 2, das Konzert. Erst ist Julien Pras an der Reihe, ein kleiner Mann mit mittleren Songs und grosser Gitarre. Der Südfranzose säuselt schüchtern seine Liedchen, die so fragil sind, dass man fürchten muss, dass sie gleich vom nächsten Zigarettenhauch verweht werden. Alles hübsch, alles leidlich, aber die Ausstrahlung, die fehlt. Pras, der anschliessend für White den Bass bedient, scheint selbst nicht so recht an die Kraft seines Schaffens zu glauben. Was zur Folge hat, dass selbst wer ihm zuhört, eigentlich nichts hört, denn seine artig-melancholischen Balladennuscheleien sind kaum angekrochen auch schon wieder verflogen. Dann übernimmt Emily Jane White, vom Nachtessen gestärkt, mit «The Ravens» von ihrem Zweitling «Victorian America» die Bühne. Ein Stück, das die Tonalität für den weiteren Abend festmeisselt. Die Sängerin singt mit weltverlorener Flüsterstimme, die einen immer wieder frösteln lässt, von gebrochenen Knochen und der brutalen Natur des Mannes, der sie hat sitzen lassen. Trist sind die Bilder, die White malt. Der Musikerin gelingt es, ihren Stücken das Licht zu entziehen, komplett. Es sind anachronistisch wirkende, lichtscheue Kleinode, die nur drinnen, im dunklen Kämmerchen, ihre volle Wirkung entfalten können. Mit ihren meist akustisch angelegten, von Cello und Violone angetriebenen Kompositionen, beschwört die Kalifornierin Stimmungen herauf, die an roten Samt, fahlen Kerzenschein und düstere Gespenstergeschichten denken lassen. Ihrem «Gothic Folk» haftet etwas Entrücktes an, etwas längst Vergangenes. Die Melancholie ist Dauergast, sie wird dem Publikum aber nie aufs Auge gedrückt, sondern steht einfach da, als ob sie Naturgesetz und unverrückbarer Teil des Musikmosaiks namens Emily Jane White wäre. Selbst wenn das Schlagzeug, wie auf «Stairs», das von einem natürlich tödlichen Treppensturz handelt, ausnahmsweise mal so richtig wummert, ist es nie das Ansinnen zu rocken. Zusammen mit ihrer fünfköpfigen Band kreiert White Nummern, die wie kleine Symphonien angelegt sind. Alles hat seinen Platz, alles hat seinen Sinn, alles ist wohfeil. Und durchtränkt von der Morbidität. Vergleiche mit PJ Harvey oder Cat Power, wie sie die Musikpresse vornimmt, greifen letztlich zu kurz. Zwar haben die drei Musikerinnen allesamt einen Hang zu den schrägen Dingen des Lebens, aber wo Harvey und Cat Power vor allem ihre Innenansichten nach aussen kehren, ist White die Schreckmümpfeli-Erzählerin, die ihr Werk den Zuhörern möglichst still, leise und von frei von Emotionen näherbringen will. Was ihr auch gelingt. Und zwar nachhaltig.