Wo hör ich auf, wo fang ich an?

PTTH://, Luzern, 16.10.2020: Ein Wortspiel lädt zu den drei künstlerischen Positionen rund um die eigene Komfortzone. Raum, Körper und das subjektive Empfinden stehen im Zentrum der aktuellen Ausstellung «Komm fort!».

Wer den grossen Saal des Kunstpavillons im Säliquartier kennt, wird von der Enge, die im Raum dieser Tage herrscht, überrascht sein. Als Besucher*in bewegt man sich entweder am Rand der raumfüllenden Installation oder traut sich, in das sich bietende Bild hineinzutreten. Geländerfragmente oder Teile einer Garderobe leiten oder versperren dabei den Weg. Die Goldfarbe, vielleicht ein Hinweis auf den goldenen Käfig in dem wir uns befinden?

Das eigentliche Augenmerk liegt jedoch auf den beiden Röcken, die als kreisrunde Patchwork-Arbeiten am Boden ausgelegt sind. Das darauf haftende Manifest stellt klar: Hier geht es darum, sich Raum zu schaffen. Es geht um eine Rückeroberung, als würden sich die beiden Kreisel wie Derwisch-Röcke weiterdrehen und mit ihrer Wucht die umliegenden Begrenzungen verrücken. Es erstaunt also nicht, dass die beiden grossen Röcke Objekte performativer Handlungen sind, welche Olivia Wiederkehr während ihres Atelieraufenthalts in Athen mit zwei Frauen initiierte, dabei den Verkehr ins Stocken brachte, ja sogar blockierte.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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Der dunkle Nebenraum beherbergt drei Videoinstallationen des Künstlerkollektivs BiglerWeibel. Eine Projektion über Eck zeigt ein sich bewegendes Gebilde. Auf den ersten Blick ein Hautklumpen oder ein Getier, doch bei genauerem Betrachten erkennt man die sich langsam öffnenden und schliessenden, überdimensionierten Schenkel. In der Mitte ein Etwas, eine Verschmelzung zu einer riesigen, abstrakten Vulva-Elipse, einem Hybrid, der anziehend wie auch befremdlich wirkt.

Der Soundteppich aus einem schmatzenden Grundgeräusch erweckt einen leichten Ekel und ist zugleich faszinierend. Eine weitere Projektion überlagert die Aufnahme eines weiblichen Rückens mit einer teigknetenden Hand. Am Fenster wird ein Regal sichtbar, das Körper, die teils statisch oder sich zwängend, angestrengt Komfort suchend die Fächer beherbergen.

Hier wird kein Hehl daraus gemacht, dass um den weiblichen Körper und dessen Konnotationen geht. BiglerWeibel eröffnen einen Diskurs, der vielschichtiger nicht sein könnte. Mit ihrer spielerischen und poetischen Bildsprache lassen sie Raum für Interpretation. Themen wie Unbehagen, Körperlichkeit, Masse und die Abstraktion des weiblichen Geschlechts mit zunehmender Technologisierung eröffnen das Spektrum.

Im Eingangsbereich, wo sich die Wege kreuzen, trifft man auf das performative Objekt von Ronja Römmelt. Es lädt ein, sich direkt damit auseinanderzusetzen, es zur Hand zu nehmen und es als Fernrohr zu nutzen. Mit diesem Objekt lässt sich ein Fokus aus der Distanz setzen. Man wirft den Blick auf eine gewisse Zone im Raum, auf Menschen und Handlungen.

Die Applikationen an den Handgriffen und das genähte Sichtrohr aus Leder erinnern in Haptik und Machart an das «Böckli» des Turnunterrichts. Das «Böckli», das es zu überwinden galt und wozu man immer ein Stück Mut aufwenden musste.

Eine gelungene Ausstellung, die dazu einlädt, Positionen einzunehmen und nicht nur den Blick, sondern auch die Gedanken schweifen zu lassen. Wo stehen wir mit unserem Wohlbefinden und wo bedrängt uns die Anstrengung der Welt? Eine Ausstellung, die den Fokus auf den eigenen Körper legt, weil die Haltung der Künstlerinnen abfärbt.

Komm fort!
Bis SA 7. November
PTTH://, Luzern