Wir haben eine Wahl ...

... und zwar nicht bloss zwischen «heisser und kalter Scheisse» (Charles Bukowski). Wir haben auch die Wahl, nicht zu wählen, Dinge nicht zu tun. Die Arbeit, ja gar das Leben zu verweigern. «Ich möchte lieber nicht», schmettert der neue Schreibgehilfe Bartleby (brillant: Phil Küng) seiner Vorgesetzten Miss Edwards (Lea Huwyler) entgegen, als es um das Korrekturlesen eines Textes geht und startet damit eine Abfolge von Ereignissen, die für ihn tödlich endet. Christoph Fellmann schrieb für die Zwischenbühne eine dramatische Fassung von Melvilles Meistererzählung, die Marco Sieber inszenierte.

Gegenüber dem Wutbürger (deutsches Wort des Jahres 2010) steht Bartleby der Schreibgehilfe. Die kafkaeske Figur, die vor Kafka existierte. Dessen Ende irgendwie an jenes von Gogol erinnert, mit dessen Erzählung «Der Mantel» seine Geschichte oft verglichen wird. Er muss gar nix. Zeigt uns auf, welche revolutionäre Gewalt im «Nicht-Tun» steckt. In Zeiten, wo es in die Mode kommt, die Wochenarbeitszeit zu erhöhen, «die Zeit für ein Mittagessen verloren gegangen ist» (Magdalena Martullo im Schweizer Fernsehen), umso mehr als damals, in den 1880er-Jahren, als Herman Melville «Bartleby the Scrivener» als erstes Buch nach «Moby Dick» verfasste und der Kapitalismus noch keinen derart verheerenden Schaden angerichtet hatte. So gesehen ist das Werk durchaus als düstere Prophezeiung zu verstehen. Als das Publikum eingelassen wird, sitzt Bartleby bereits schweigend auf einem Stuhl. Als das Licht abgedreht wird, schweigt er weiter. Die ersten räuspern sich, Stille scheint zu etwas Unerträglichem geworden zu sein. Dann erlösende erste Worte. Miss Edwards besucht Bartelby im Knast, wo er drauf und daran ist, sich zu Tode zu hungern. Er will sich nicht helfen lassen. Dann alles von Anfang an. Miss Endwards hat – wie im Buch, wo sie ein Mr. Edwards ist – die Rolle der Erzählerin inne. Sie richtet sich direkt ans Publikum, gespielte und erzählte Parts changieren, was angesichts der Ausgangslage eine hervorragende Weise ist, den Stoff rüberzubringen. Dazwischen klingen Songs des ehemaligen Talk-Talk-Tätschmeisters Marc Hollis an, von seinem Soloalbum «Marc Hollis», stark interpretiert von Urs Emmenegger. Hollis Album wurde von AllMusic als «quite possibly the most quiet and intimate record ever made» bezeichnet. Passt. Zu Beginn scheint alles etwas skurril, aber gut. Miss Edwards' Kanzlei mit ihren beiden eigensinnigen Schreibern Turkey (Jonas Wydler) und Nippers (Carmen Keiser) läuft so gut, dass sie noch einen weiteren Angestellten gebrauchen kann: Bartleby. Er schreibt zwar beinahe Tag und Nacht, scheint das Büro nie zu verlassen, lehnt aber jeden anderen Auftrag ab. Er möchte lieber nicht. Edwards spitzt nervös Bleistifte, die Schreiber hauen in die Tasten, klingeln auf der Tischklingel, umrunden ihr Pult. Bis Bartleby auf einmal gar das Schreiben verweigert und zum blossen Büroinventar verkommt. «Wenn irgendetwas Menschliches an ihm wäre, hätte ich ihn schon längst gefeuert», meint Edwards mal und bittet den «Nicht-Schreiber» höflichst, auszuziehen, vertraut diesem gar ihren Wohnungsschlüssel an. Am Ende zieht die Kanzlei aus. Bartleby wird per Räumungsbefehl entfernt, und es kommt wie wir schon wissen. Das minimalistische Bühnenbild von Viktor Diethelm wie auch die komischen Kostüme von Nora Zimmermann unterstreichen die Stimmung des Stücks doppelt. Die Leistung der Schauspieler mag man zu würdigen, wenn auch – gerade, da es sich um versierte Akteure, jedoch nicht um Profis handelt – eine Dialektfassung der Sache dienlicher gewesen wäre. Was jedoch auch der einzige Wermutstropfen in dieser ausserordentlich gelungenen Produktion ist.

Weitere Aufführungen: MI 5., FR 7., SA 8., SO 9., MI 12., FR 14., SA 15. Januar, 20 Uhr, Zwischenbühne Horw