Wer braucht schon Gefühle, wenn er Rosen hat?

Nach Berlin, aber noch vor Biel, beehrt die Kurdischtürkisch-schweizerische Theatergruppe Ararat Luzern für zwei Aufführung des Stückes «Ein Heimspiel», ein Bühnenspiel, in dem – ohne wirkliche Handlung – in Form von Monologen, Dialogen, Tanz, Gesang und weiterem Gewirr Situationen gezeigt, Fragen gestellt und nicht beantwortet werden. Zum Wohle des Zuschauers.

Am 7. und dem 8. Januar ist die Bühne im Theater Pavillon schlicht gehalten. Drei quadratische Ständer, mit halb durchlässigem weissem Netz bespannt, am rechten ein einsamer weisser Bademantel, im Hintergrund eine grössere, ebenfalls weisse Wand, auf dem Boden Haufen von Zeitungen. Es betritt Hanspeter Utz die Bühne, wo er sich zu vier seiner Darsteller gesellt. Da steht die lange verheiratete Frau in roten Schuhen, offensichtlich aus dem Osten eingewandert, ständig auf einen gewissen «Er» wartend (Den ersten und einzigen Geliebten? Den grossen Diktator?), da steht deren Gatte, ein Mann, mit einer Besessenheit für Zahlen (Lotterie? Wirtschaft? Hoffen? Bangen? Warten?). Zudem ein paranoider, neurotischer junger Mann und eine junge Dame mit einer Vorliebe für Ausdruckstanz zu ohne Musik. Hanspeter Utz (Regie und Idee) wendet sich nun im noch voll beleuchteten Saal zunächst ans Publikum. Er erklärt den Zuschauenden, schon eindeutig und gut schauspielernd, was sie im Begriff seien zu sehen, demontiert die vorgefertigten Erklärungen und wendet sich an seine Schauspieler, die ebenfalls längst zu Charakteren geworden sind. Es wird gefordert und abgegangen und dann gehen die Lichter aus. Wie nun stehen diese Figuren zueinander, was geschieht mit ihnen, wer sind sie? Diese Fragen werden höchstens andeutungsweise geklärt. Und sie spielen auch keine Rolle. In verschiedenen Arten des Vortrages (alleine, zu zweit, du dritt, alle zusammen) werden einem Ansichten vermittelt und Szenen vor die Nase gesetzt, welche eine eigene Interpretation möglich machen, zum Teil auch verlangen. Und es dem Zuschauer überlassen zu wählen, wo er sich oder andere Exponate unserer Gesellschaft wiedererkennt. Das Stück beisst sich zielsicher in aktuellen Thematiken fest. Einwanderung und deren Folgen, die Spassgesellschaft und ihre Angst vor echten Gefühlen und vor allem die Medien, immer wieder die Medien, in Form der omnipräsenten Zeitungen. Ob im Vordergrund oder im immer in Bewegung bleibenden Hintergrund, die Zeitungen dienen jeder Situation als Lösung; Es werden Zahlen vorgelesen, auch um aufkeimende Tiefgründigkeiten niederzuschreien, man zitiert die zu jeder Gelegenheit passenden Fakten und Fachbegriffe oder setzt sie sich auf den Kopf, um das eigene Weltbild um 100 Jahre zurückzusetzen, man baut sich eine Festung gegen die Aussenwelt (Wie im ÖV), oder räumt sie schlicht und einfach weg, um den ominösen «Er» gebührend empfangen zu können. Ausserdem erwähnenswert: Die Manchester-Jacke, welche die einzelnen Darsteller zusammen mit der Manchester-Schirmmütze zum, na sagen wir mal Schöngeist, machen, welcher dann jeweils das schöne und oberflächliche einfordert. Oder im traurigen das Romantische sehen will. Erst im letzten Drittel des Stücks taucht der eigentliche Held auf: der Rosenverkäufer Lucky. Trotz seines furchtbaren Berufs sagt er von sich selbst, er sei dankbar. Und wie integriert muss der junge Mann sein: Er nimmt die Auswärtsspiele als wären es Heimspiele, er arbeitet gut und hart und steigt so in kürzester Zeit bis an die Spitze auf; bis hin zur Pop-Figur. Und plötzlich ist seine ganze Freundlichkeit verschwunden, im Mittelpunkt seiner (etwas lang geratenen) Pop-Polit-Show steht nur noch er selber. Beim Kaffee danach sagt Regisseur Utz, er sei der Meinung, das Theater habe nicht (mehr) die Aufgabe, Geschichten zu erzählen, das könne der Film doch viel besser. Da mag er durchaus recht haben. Das Heimspiel überzeugt in seiner freien Form jedenfalls sehr, auch dank der guten Schauspieler. Man darf gespannt sein, was von dieser Truppe noch folgt.