Was macht die Zeit mit den Alben? [#9]

«Weisses Papier» von Element of Crime – 1993
Im Trend waren sie in dieser Grunge-Zeit (1993) mit ihrer Mischung aus Americana und Zigeunermusik nicht wirklich. Obwohl, lustig: Dann kam ja die Unplugged-Sache, aber Element of Crime hätten nicht unplugged spielen können, weil niemand den Unterschied gehört hätte, und so passte es irgendwie doch. Überhaupt haben EoC mit der Mode selten viel am Hut gehabt, aber wenn man ein Lied wie «Weisses Papier» schreibt, ist es Wurst, ob Trend oder cool oder was weiss ich, dann ist der Teufel los! Und der Haken? Der Haken an der Sache ist: Du musst als Band das Lied die nächsten tausend Jahre jeden Abend spielen und irgendwann spielst du es mit Gehörschutz. Aber was will man, alles hat einen Haken.

(Von Dr. Knobel)

So, jetzt aber die Mucke:

«Mehr als sie erlaubt» Flott gehts los mit – wie soll man sagen? – nervöser Zigeuner-Polka-Musik mit zappeligen Bläsern. Der Text ist grandios: Sven beschreibt seine Geliebte: «Gesund wär ich bekäme ich einen Apfel für jedes Mal, wenn sie in meine Richtung haut» Später meint er dann «Wenn ich nicht selber so ein riesengrosses Schwein wär, hätt es mit uns beiden niemals so gut geklappt.» Interessant: «Sie haut» und «Er ist selber» die Wortwahl ist nicht ganz schriftdeutsch sondern auch berlinerisch, die Aussprache allerdings ist recht schriftdeutsch. «Draussen hinterm Fenster» Erst testen Handorgel und Trompete noch ihren Klang, dann stimmt die ganze Kapelle etwas Beerdigungs-Marsch-artiges an. Im Refrain wechseln sie den Rhythmus, was zu einer Dramatisierung führt. In den Strophen beschreibt Sven, was die Menschen so tun: «Vom Freibad kommen die, die nicht ertrunken sind ... ein Eisenbieger nimmt die falsche Tür» Im Refrain singt er immer: «Ich frage dich nicht wo du herkommst, und du sagst mir nicht wo wir sind, wir sitzen hier fest ... verwirrt träge und verliebt.» «Weisses Papier» Das grosse Lied von Element of Crime. Jetzt habe ich das Gefühl, man hört schon nach zwei Sekunden, dass das ein Hit ist. Die Handorgel, die Gitarre von Jakob Friederichs, dem einzigen Gitarristen der mit seiner Gitarre verwachsen ist, das zackige gewaltlose Schlagzeugspiel Richard Pappiks (Er spielt wie er heisst), für den man das Gerät eigentlich in Zwickzeug umtaufen muss. Dieses Lied versteht auch eine Chinesin oder ein Grieche, weil die Melodie und der Text und alles das Gleiche sagt. Apropos Text: «Die Hose, die du mir gehäkelt hast, werfe ich in den Container der Heilsarmee rein.» [youtube]http://www.youtube.com/watch?v=U_j6q6GB0ZI[/youtube] «Schwere See» Auch wenn dieses Lied «schwer» im Titel trägt, ist es in jeder Beziehung leichtere Kost als das Vorangegangene. Es handelt von einer Beziehungskrise auf einem Schiff: «Während ich den Fischen zu essen bringe ... kaust du krachend Heringe und lachst so laut, als ob du es extra machst, ist das so? Tust du das?» Die Musik glitzert ähnlich wie das Sonnenlicht auf dem Meer. «Und du wartest» Geiler treibender Anfang mit Orgel und Kwengel-Gitarre. Sven singt lange davon, wie man ständig auf irgendwas wartet: «Auf den gestrigen Tag, auf längeres Haar, darauf, dass einer das Klo repariert ... sogar auf ein Zeichen von Ihr». «Du hast die Wahl» Ein schleichendes Lied. Textlich sehr ausgefuxt: «Ich warte am Bahndamm, zwischen den Gleisen, bis entweder ein Zug kommt oder ein Zeichen von dir. Ob das Erpressung ist, mir doch egal, du wirst geliebt du hast die Wahl.» «Sperr mich ein» Eine heiteres Lied, in dem Sven ein Durcheinander zwischen seiner Verhaftung und Sex mit seiner Liebe macht. Wenn der Sven das singt und EoC dazu spielen, wirkt das nicht gerade sexuell aufgeladen, die Chinesin und der Belgier würden hier eher denken es gehe ums Älterwerden. «Immer unter Strom» Aua, ein blödes Lied. Quängeliger Zigeuner-Boogie trifft auf Road-Movie-Text. «Lass alles komm mit» Fängt schön an, könnte auch eine schöne alte Ballade von Lenny (nicht mehr so gut) Kravitz sein. «Das Plastikobst von dem du dich optisch ernährst, das Klavier auf dem du nicht spielen kannst, das alles kommt mit und du auch.» «Sommerschlussverkauf der Eitelkeit» Scheiss Titel, Scheiss Lied, Scheiss Text. «Altern Resten einer Changse» Jazzige Musik mit französischer Handorgel. Wieder ein Lied über Sex. Sven endet seine Ausführungen bevor es erotisch zu werden beginnt, droht mit: «Genug der schönen Worte, es geht auch ohne dass man spricht.» Da hat er Recht. So. Nächstes mal wird brav Kerosin gespart und wir fahren mit dem Zug in die Schweiz des Jahres 2002.