Vis-à-vis von Christian Morgenstern

St. Urban, Samstag 7. April: Der diplomierte Primarlehrer, ehemalige Zahnarzt und aktuelle Lupenbrillenhersteller Alex Grendelmeier gab in seiner ersten offiziellen Lesung Gedichte über das Tierreich, die Menschen und die Musik zum Besten. Dazwischen erzählte er einem illustren Zuhörerkreis von den Freuden und Leiden eines Verseschmiedes.

«Die Dichterei hilft ohne Frage, dass ich die irre Welt ertrage» - damit begründet der 1944 geborene Aarburger sein literarisches Schaffen kurz und bündig. Schliesslich muss seine Motivation zur Schreiberei zwangsläufig vor allem eine Art «selbst-therapeutische» sein. Seit rund 40 Jahren verfasst Alex Grendelmeier Verse. Einen Verlag konnte der sympathische Zahnmediziner allerdings noch nie für seine Aufnahme begeistern. Dies alles tat seiner ersten öffentlichen Lesung in der ehemaligen Abteiwohnung des wunderschön gelegenen Klosters St. Urban aber gar nichts ab. Unbefangen und gekonnt trug der unbekannte Dichter dies und das aus seinen Werken vor und in die familiäre Atmosphäre der Veranstaltung hinein. (Die Werke müssen sich, gemessen an dem stattlichen Stapel Hefte, den er die Klostertreppen hinauftrug, über die Jahrzehnte hinweg beachtlich vermehrt haben.) So brachte er knapp 30 interessierte Besucher zum Schmunzeln und Klatschen, wenn er etwa aus «Grendelmeiers Reich der Tiere» einige mehr oder weniger animalische Sprüche vortrug. Dabei konnte es sich um Gedanken zu allerlei Getier handeln, denen manchmal schon fast ein Joachim Ringelnatz ähnlicher Witz beiwohnte. Von Läusen, über Pinguine bis zur Klapperschlange war vieles dabei. Zu Letzterer stellte sich Grendelmeier aber dann doch die Frage: «Lässt sich das Tier wohl in die engen und unbequemen Verse zwängen?» Offenbar hatte daran auch ein Mitarbeiter eines Verlages so seine Zweifel oder schlicht das ganze Versbändchen nicht gelesen. Aufgrund des Inhaltsverzeichnisses, welches die Gedichte zu den Tieren in Stamm, Klasse, Ordnung etc. einteilt, erklärte dieser in einem Rückschreiben an Grendelmeier nämlich plump: «Tut uns leid, wir verlegen keine zoologische Fachliteratur.» Von derartigen «Karriererückschlägen» hat sich der Aargauer aber offensichtlich nie entmutigen lassen. Er schien beim Erzählen von solchen Anekdoten nicht nur sichtlich amüsiert, sondern liess sich dadurch gar zu weiteren Versen inspirieren. Konsequenterweise schrieb er darauf ein kleines Büchlein mit dem Titel «Grendelmeiers Reich der Menschen». Seinen Angaben zufolge gestaltete sich dabei die Themeneinteilung fürs Inhaltsverzeichnis etwas schwieriger. Nichtsdestotrotz sind für die Nachwelt nun Gedichte zur menschlichen Seele oder zur Musik aus seiner Feder erhalten. Stolz und mit einer zünftigen Portion Schalk im Nacken informierte Alex Grendelmeier gegen Schluss das Publikum über seinen bisher (!) grössten dichterischen Erfolg: Dank einer abgedruckten Serie seiner Verse im Feuilleton der NZZ währen den 80er-Jahren wurde Meinrad Walter auf ihn aufmerksam. Dieser sammelte von Dichtergrössen wie Fontane oder Mann passende Texte für sein Buch «Mein Lieblingsinstrument - Die Orgel». Grendelmeiers Gedicht in dieser Sammlung handelt von einem Holzwurm in einer Orgel, der aufgrund des entstehenden Holzstaubes beim christlichen Musizieren an einer chronischen Bronchitis litt: «Und so verliess mit schwerem Herzen der Holzwurm Weihrauchduft und Kerzen und machte sich aus seinem Staube. Darauf hiess es prompt: ‹Ihm fehlt der Glaube!›» Das Höchste für die Grendelmeier’schen Gefühle - er wurde vis-à-vis von Morgensterns «Macht-Rausch» abgedruckt.

Die Veranstaltungsserie «Lyrik im Kloster» geht weiter und findet immer wieder mit einem anderen Autor jeweils am 7. des Monats statt. Nächstes Mal stellt der Herausgeber Hans Brunner die auf 40 Bände angelegte Reihe «Solothurner Klassiker» vor.