Vier eigenwillige Schafe

Johanneskirche, Luzern, 16.10.17: Keine Umwege aber offen für das improvisierte Moment. Das Zusammenspiel der jungen Luzerner Band Schööf ist versiert und mit ihrem ungehörten Sound schwimmen sie im Strom der Zeit gradlinig voraus. Die Johanneskirche, das Betongebilde am Stutz in Richtung Adligenswil, erweist sich als akustisches Paradies für die vier Klangkünstler.

 

Vorweg eine kleine Irritation: Schafe stehen ja gemeinhin als Symbol für eine gelassene Gutmütigkeit, sogar Einfältigkeit. Als Herdentiere folgen sie dem "Leithammel"; allenfalls bis über den Abgrund. Nun nimmt das ganze im kirchlichen Kontext des Auftrittsorts eine weitere Bedeutungsebene ein: Wo Schafe sind, ist auch ein Hirte. Diese Interpretation wird den vier Jungs nur gerecht, würde man die Schwerelosigkeit, und das teilweise Unfassbare der Musik, die sie machen, als ihr erhabenes Ziel betrachten, von welchem sie geleitet werden. Dies schiesst kurz durch den Kopf, betritt man den Raum und weiss, dass eine solche Band hier gleich spielen wird. Es ist eine Jazzband, die improvisiert, experimentiert, sie spielt ungewöhnliche Kompositionen, die sich mit den weniger erforschten Parametern befassen, die Musik zum klingen bringen. Spätestens nach dem ersten Ton wird auch klar: keine Spur von Einfältigkeit, sie meinen es ernst. Eine mehrschichtige Lichtinstallation stülpt die sonst kahle Betonkirche in atemberaubende Stimmung. Die vier Schafe und das Publikum sind bereit, sich treiben zu lassen.

Auf den Punkt

Es beginnt mit einer ausgehaltenen Tontraube, das dissonante Rauschen dringt in die letzten Winkel der Johanneskirche und entwickelt durch die Langwierigkeit seine Kraft. – Was für ein Anfang! Schön, dass man als ZuschauerIn wieder einmal abgeholt und nicht in eine private Spielerei von MusikerInnen hineingeworfen wird. Es tun sich Lücken auf in der Komposition, einfach, wie das menschliche Ein- und Ausatmen. Dann kommt der Pulsschlag vom Schlagzeuger Amadeus Fries, es kristallisiert sich eine Saxophonmelodie heraus. Und wieder zurück in die Tiefen der ausgehaltenen Sounds. Festzuhalten ist, wie die beiden Saxophonisten Elio Amberg und Noah Arnold sich gegenseitig den nötigen Platz lassen. Auch die Gitarre von Christian Zemp fügt sich nahtlos ins Geschehen ein. Vor jedem Musiker steht ein Notenständer. Mensch fragt sich, wie diese Noten bloss aussehen könnten. Klar ist, dass das nicht notiert sein kann, was das Zusammenspiel der Musiker betrifft. Das Gespür der vier untereinander zeugt von ihrem gemeinsamen Willen. Ihre Musik ist Abstrakt aber klar und auf den Punkt.
Ein Höhepunkt findet nach einer knappen viertel Stunde statt: Ein unisono Rhythmus, kommt pompös, frisch und abgeklärt daher. Er geht, auch dank den akustischen Verhältnissen, tief und bleibt hängen.

Unpopular Pop

Erst im Mai 2017 erschien die erste EP der vier Luzerner. Die Oktober-Tour, von welcher wir die 3. Etappe erleben durften, steht auch im Zeichen dieser EP. Was sie am heutigen Sonntag Abend machten, ist unumstösslich Live-Musik. Ein Sound-Spektakel, das auf Kopfhörern oder ab Boxen einfach nicht so wirklich wirklich ist. Radiotauglich kann man dies nun auch nicht recht nennen. Trotzdem waren sie zu ihrem EP Release zu Gast im Radio 3FACH in Luzern. Unter den vielen Beschreibungen, gefällt mir Unpopular Pop dann doch am besten. Musik, die nicht so richtig "heimgetan" werden kann, und das mit Absicht. Die vier Schafe lassen sich nicht festnageln auf einen Begriff, sie machen Musik – so, wie sie aus ihnen rauskommt. Sie suchen in ihren Kompositionen die Tiefe und das Ergreifende.

Die Vier Luzerner sind entweder frische Abgänger der Jazzschule oder auf der Zielgeraden dorthin. Man hörte sie in anderen Besetzungen mit grossen Namen. Um einige, wenige Beispiele zu nennen: Elio Amberg erhielt am Gamut Festival (ZH) die Carte Blanche und trat mit den Luzerner Dozenten  Hans-Peter Pfammatter (pn) und Gerry Hemingway (dr) auf. Und Christian Zemp trat erst vor einigen Wochen im Duo mit der in Basel dozierenden, englischen Soundkünstler-Legende Fred Frith (git) im Luzerner Neustahl auf.
Wir bleiben also gespannt, wo es die vier Schafe durch treibt und hoffen noch viel von ihnen zu hören!