«Understanding the human mind»

Am Samstag, 31. März, eröffnete Roger Penrose die neunte Schweizer Biennale für Wissenschaft, Technik und Ästhetik im Verkehrshaus Luzern unter dem Titel «Das Grosse, das Kleine und der menschliche Geist. Teil 2».

Er legt farbenfrohe Hellraumprojektor-Folien auf, handbeschrieben und zuweilen mit Bildern von erschossenen Katzen, antiken Helden oder molekularen Konstellationen bemalt. Der freundlich lächelnde, ältere Mann auf der Bühne ist kein Primarschullehrer. Was er mit einfachen Worten und farbigen Darstellungen zu erklären versucht, ist Stoff von einer Komplexität, die man weder Kindern noch Jugendlichen und wohl auch manchen Erwachsenen nicht zutrauen möchte. René Stettler, Gründer der Biennale, hat es  so formuliert:  Roger Penroses Theorien streben «a better understanding of the universe and the human mind» an und haben dazu schon vieles beigetragen. Als ehemaliger Forschungskollege von Stephen Hawkings ist er neben diesem einer der bekanntesten Physiker der Welt.

«wrong in an interesting way» Penrose, «a kind and softhearted man», habe ihm sehr früh seine diesjährige Teilnahme zugesagt, so Stettler in der Eröffnungsrede. Es ist das zweite Mal, dass Penrose hier auftritt und bereits beim ersten Mal vor über 10 Jahren hat er für grosses Aufsehen gesorgt. Das hat Settler dazu veranlasst, diese Biennale ganz im Zeichen des bekannten Wissenschaftlers zu gestalten und Forscher einzuladen, die in irgendeiner Weise auf Penrose reagiert haben. Eine Biennale also, in der weniger Technik und Ästhetik, sondern vor allem (Natur-)Wissenschaft im Vordergrund steht. Eine Biennale auch, in der Forscher auf demselben Kampfgebiet dem Publikum ihre rituellen Grabenkämpfe vorführen? Nicht der offene Schlagabtausch sei das Ziel, sondern die konstruktiv-kritische Auseinandersetzung; man wolle die zusammenbringen, die «neue Antworten finden». Penrose hat viele Kritiker, doch die Kritik ist oft auf dem höchsten Niveau und zeugt von grossem Respekt. Stettler zitiert dazu einen anonymen Kommentar auf dem Internet. «Roger Penrose is wrong – but wrong in an interesting way.»

Das «Vor-Bewusstsein» auf Quantenebene Penrose gibt gleich zu Beginn eine rasante Einführung in die Quantenmechanik und das Schrödinger-Problem – Theoreme, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. Zwar tut er alles, um das Wissen anschaulich zu vermitteln, doch bemerkt er zuweilen, dass der Bücher füllende Stoff sich nur schwer in einer halben Stunde zusammenfassen lässt: «Sie mögen jetzt schon verwirrt sein, glauben sie mir, ich mache es nicht absichtlich.» Für Penroses eigene Theorie bleibt leider schliesslich wenig Zeit. Bewusstsein, so seine These, ist nichts, was sich mit der heutigen Mathematik berechnen liesse und deshalb auch nichts, was in einem Computer simuliert werden kann. Trotzdem ist es auch nichts Zufälliges oder Mystisches. Seine Ursprünge sucht Penrose auf kleinster physikalischer Ebene, in der Quantenphysik. Er verortet das «Vor-Bewusstsein» in der Reduktion von «unscharfen» quantenmechanischen Zuständen in eindeutig nachvollziehbare Postionen von Teilchen. Wie diese Reduktion von statten geht, kann er nur mutmassen, dass sie aber nicht dem Zufall, sondern einem grösseren kosmischen Gesetz zu verdanken sei, dessen ist er sich sicher.

Microtubuli Grossartige kleine Unser Bewusstsein gründe also auf kosmischen Grundgesetzen, so Penrose. Wie unser Gehirn auf diese zugreifen kann, erklärt der nächste Redner, Penroses enger Forschungskollege Stuart Hameroff. Er ist der Ansicht, dass Microtubuli, Bestandteile der Neuronen in unserem Gehirn, mit quantenmechanischen Zuständen interagieren können. Dass Microtubuli von grosser Wichtigkeit für unsere Denkleistung sind, ist mittlerweile unbestritten: Ihre Rechenleistung übersteigt diejenige von Neuronen oder modernen Computern bei weitem. Ob in ihnen jedoch so etwas wie eine «Messstation» für die Reduktion von Quantenzuständen in «normale» Zustände vorzufinden ist, wird bestritten. Das Argument, solche Abläufe seien im feucht-warmen Gehirn gar nicht möglich, versucht Anirban Bandyopadhyay in seinem Vortrag zu entkräften. Er forscht zu künstlicher Intelligenz und baut Microtubuli nach oder simuliert ihre Funktionen am Computer. Er arbeitet dabei auch mit den Theorien von Penrose und Hameroff und hinterfragt diese. Ebenfalls mit Microtubuli arbeitet Jack Tuszynski, dessen Vortrag sich um die Entwicklung ihrer Erforschung dreht. Tuszynski ist als mathematischer Biologe und Physiker dank der Krebsforschung auf das Thema gestossen. Er sieht in Medikamenten, die auf molekularer Ebene an Microtubuli andocken können, die grosse Chance im Kampf gegen Krebs, Alzheimer, Parkinson und Epilepsie.

Kritik und Esoterik Kritische Fragen stellt der Vortrag von Abner Shimony, der sich vor allem auf eine These in Penroses Buch «Shadows of the Mind» bezieht und bereits den Bogen zu dessen Kosmologie schlägt, die am zweiten Tag der Biennale verhandelt wird. Dem darauffolgenden Gespräch der beiden Fachmänner können Laien nicht mehr folgen, einer der wenigen Momente, in denen sich das Nicht-Fachpublikum völlig im Stich gelassen fühlt. Anwesend ist natürlich nicht nur ein Laienpublikum, die Zuhörerschaft erscheint erstaunlich heterogen: Studierende der Informatik, der Neurologie und der Physik, Oberstufenlehrer, Autodidakten, ETH-Forscher, Interessierte. Und nicht zuletzt ein Vertreter der Esoterik, der mit seinen Fragen eine ganz eigene Sicht in die Problematik einbringt: Ob nicht etwa der spiritualistische Zugang zum menschlichen Geist mit demjenigen Pernoses zu vergleichen sei? Wohl eher nicht, war die Antwort.

Der ganz grosse Wurf In der Schlussdiskussion unter der Leitung von Malcolm Longair kommt man zurück zu grundsätzlichen Themen rund um die Quantenphysik. Der Traum, Quantenphysik und klassische Physik – zu der hier auch Einsteins Relativitätstheorie gezählt wurde – in einer grossen «Supertheorie» zusammenzuführen, teilt Penrose im Gegensatz zu Longair nicht. Er ist der Meinung, die Quantentheorie müsse stark angepasst und verbessert werden. Sie müsse also einen Schritt auf die klassische Physik zugehen, bevor die beiden «verheiratet» werden können. Seine Theorie, die sich auf der Grenze zwischen beiden Gebieten bewegt, verweist in diese Richtung und damit doch in die Richtung des ganz grossen Wurfes: Einer einzigen Erklärung sowohl für das Kleine, das Grosse und den menschlichen Geist. Ein grosser Wurf in vielerlei Hinsicht war auch diese Vortragsreihe: Von 12 bis 19 Uhr dauert die erste Hälfte der Biennale, bevor sie am Sonntag mit Penroses Gedanken zu Zeit und Raum weiterging. Nicht nur die Vortragenden machten zum Schluss einen müden Eindruck, auch das Publikum wurde sichtlich gefordert. «Understanding the human mind» ist schliesslich kein Samstagsspaziergang.

Mehr Informationen unter: http://www.neugalu.ch/d_bienn_2012.html Mehr zu Roger Penrose: «Der geniale Hutmacher Roger Penrose» (aus 041 – Das Kulturmagazin, März 2012)