Spoken-Wortspieler und halber Schweizer

Dienstagskultur in der Loge. Zu Gast war im gut besuchten Kleinraumlokal auf der 5 Quadratmeter messenden Bühne Spoken-Word-Artist Simon Chen (38) mit Autobiografischem, Erfundenem, Fundsachen, Zügigem und Minimalistischem.

In 5 Punkten gibt’s zum Einstieg Biografisches. Er sei eine Kreuzung, eine Mischung, halb/halb, ein Secondo (?), in ihm vereinigen sich Ying wie Yang – «Ich bin a product of Taiwan made in Switzerland». Vater Taiwanese, Mutter Schweizerin, Chen («das ist wie Müller oder Meier» – es ist aber auch die Fleisch gewordene Verkleinerungsform, die wir im Deutschen dem Hauptwort anhängen: «-chen») spricht eine Art Aargauer Dialekt, kann aber auch Berndeutsch und als Schauspieler Bühnendeutsch, von einst Fribourg kam er her, um heute in Zürich zu wohnen. Da gibt’s Texte zur Entscheidungsschwäche, in die Dimension der Interaktivität erweitert wird die Mehr-als-Lesung durch die Slam-Text-Wünsche, wo man aus Chens Miniaturensammlung mit Aphorismen zur Lebensweisheit eine der Text-Nummern von 1 bis 99 wählen konnte. Simon Chen hat auch einige «SBB-Texte» in petto, Zügiges sozusagen, Alltagsbeobachtungen als Ausgangspunkt, um es verdichtet-pointiert auf den Punkt zu bringen in Mundart (bernisch). Oder, auch ÖV, Tram oder Bus und das Thema, dass es nichts nützt, beim Warten an der Haltestelle auf die Uhr zu schauen. Tipps zur Lebenspraxis. Auch ein Phänomen: DAZ (Lehrpersonen im Publikum kennen die Abkürzung: Deutsch als Zweitsprache). Ja was ist denn Zweitsprache?, fragt Chen sich und uns, und es wäre aktuell ein schöner Diskussionsbeitrag zu Dingen wie Hochdeutsch im Kindergarten (bzw. «Schriftsprache»). Was jüngst als Barfood-Poetry-Festival «Woerdz» auch über die Loge-Bühne ging (Stichwort: The Best of Power Point Präsentationen), hatte Simon Chen vor längerer Zeit bereits antizipiert, nämlich sich als Spoken-Word-Mensch sich das Thema «Klassiker» vorzunehmen. Chen bedauert den Bildungsverlust, das Nicht-mehr-Lesen der Jungen, und mit Nachdruck plädiert er für die Errettung der Klassik. Also, das Vorgetragene ist, was er eben einst, am 13. Dezember 2008, im Südpol präsentierte, als dort der Werkbeitrag für «Woerdz» übergeben wurde. Auch das: Fundsachen sprachlicher Art, Stilblüten aus dem Alltag, mit anderen Worten: Fehler. Oder sonst Absonderliches, wie eine in Horw (Rank) aufgelesene Schrulligkeit, Inseratetexte («neue Herausforderung im Suchtbereich»). Von Horw her, eine Programmnummer der Eisenbahn-Nite in der Zwischenbühne, konnte man den hier wieder gegebenen Text über eine Zugfahrbeobachtung kennen: «Isch hie no frei?» (siehe auch) Chens Spracharbeit, die nicht nur im Ausdruck schön vielfältig sein kann, hat auch Beispiele raffinierter Homophonien (Gleichklängen) parat. Zum Beispiel jene, wo «Cola oder Bieren» auf «kollabieren» reimt und im Kontext auch Sinn ergibt. Dann ein Fall von «Genius loci»: In der Loge hat er mal abgeräumt bei der allerersten Text-Tiegel-Staffel. So gibt er ihn exklusiv, obwohl damals als exklusiv-einmalig gedacht, auch am Dienstag noch mal, den in 45 Minuten in der gegenüberliegenden Helvtia-Bar entstandenen Wettbewerbsbeitrag zu Horst Tappert (aka Stephan Derrick). Schön auch die mundartlichen Betrachtungen über die Kleinen bzw. die Ode an jene, die immer zu kurz kommen.