«Sich in der Gruppe zu ver- und benebeln, das ist's, was wir wollen!»

Wohl bekomms, schöne neue Nichtraucherwelt! Zeit für die letzten Argumente eines echten Rauchers. Ein Essay von Sam Pirelli (aus dem Kulturmagazin, Mai 2010, Bilder: Maya Jörg [1], Franca Pedrazzetti [2, 3]).

Als ich unlängst im Bourbaki mit der Psycho Radio Show gastierte, hatte ich ein Aha-Erlebnis: Ich musste warten, bis der letzte Film durch war, und baute mich neben dem Discopult auf, das unmittelbar vor dem Ausgang des Kinosaals stand, um die Kinogäste beim Herauskommen zur Show einzuladen. Ich war im Vollwichs: massgeschneiderter Smoking, Rüschenhemd, Bolo Tie, meine schönste Perücke auf dem Kopf, für einmal mehr Ringe an den Fingern als unter den dezent geschminkten Augen. Die Herauskommenden freuten sich ob der Einladung – bis auf einen: Der sah nicht den herzlichen, attraktiven, aufgedonnerten Künstler im farbigen Discolicht, sondern nur die dünne Selbstgedrehte in dessen Hand. Er rümpfte die Nase, meinte: «Wir rauchen nicht!», und zog im vergeblichen Versuch eines hoch erhobenen Hauptes von dannen. Ich war so verdutzt, dass mich meine Schlagfertigkeit schlagartig verliess. Was wollte er mir sagen? Dass Nichtraucher keinen Spass haben? Dass ich als Raucher nicht in der Lage sei, etwas anderes als Mist zu produzieren? Im riesigen Bourbaki-UG waren noch keine Leute, meine war die erste dort gerauchte Zigi, gestunken kanns nicht haben. Worum also ging's? Ganz einfach: Seit etlichen Jahren werden jedes Jahr 20 Millionen Franken dafür aufgewendet, Stimmung gegen die Raucher zu machen. Es wird bewusst Hass gesät, man scheut auch vor Lügen nicht zurück: Wir seien teuer – stimmt nicht, wir belasten Krankenkassen sowie AHV und PK um ein Viertel weniger, wegen der verkürzten Lebenserwartung (Bilthoven-Studie, 2006); im Gegenteil, wir finanzieren Alzheimer und Parkinson, den wir als Raucher gar nicht bekommen. Jedes Jahr stürben 2000 Leute an den Folgen des Passivrauchens – nun, diese Zahl hat sich in den letzten Jahren verzwanzigfacht, obwohl an immer weniger Orten geraucht werden darf; die Einschätzung des BAG beruht auf zwei schon längst wegen Datenmanipulation zurückgezogenen Studien (z. B. DKFZ 2005).

Rauchen stinkt, das stimmt. Aber es ist müssig über die gesundheitlichen Folgen des Passivrauchens zu motzen, wenn gleichzeitig Uralt-Diesel uneingeschränkt Unmengen an Feinstaub und Stickstoffdioxid verteilen dürfen und man es noch nicht einmal fertiggebracht hat, die Zweitakttöffli zu verbieten, die gegenüber zeitgemässerer Technik ein Mehrhundertfaches an Schadstoffen ausstossen. Die Post hat sogar unlängst noch 2500 davon gekauft – und wie sehr die stinken, weiss jeder, der das Pech hat, mit dem Velo hinter einem von ihnen herzukeuchen. Es wird mir ein ewiges Mysterium sein, mit welcher Leichtigkeit man gegen ein Stellvertreterproblem wie das Rauchen vom Leder ziehen und zugleich Klimawandel und Luftverschmutzung einfach ignorieren kann. Hauptsache, es wird nicht geraucht. Unter diesen Vorzeichen ist es kein Wunder, dass alle Rauchverbotsvorlagen an der Urne angenommen werden. Das Thema wurde mit ungeheurem Aufwand bewusst ins Zentrum der Aufmerksamkeit gesetzt, damit man die wahren Probleme nicht angehen muss. Also bestimmen Leute, die selber nie spätnachts im Ausgang sind und nie die von mir frequentierten Lokale aufsuchen würden, darüber, wie ich meine Freizeit zu verbringen habe. Man könne ja schnell zum Rauchen rausgehen, meinen sie, als ob es damit getan wäre. Sie verkennen dabei, dass Rauchen nicht nur Sucht ist, sondern auch Genuss: Die Zigarette gehört zum Bier. Sich in der Gruppe zu ver- und benebeln, das ists, was wir wollen! Und wir lassen euch gern rauchfrei essen, kein Problem! Aber während ihr nach dem Espresso geht, bleiben wir sitzen und fangen mit Saufen und eben Rauchen an!

Und was glaubt ihr, was die Nachbarn davon halten werden, wenn sich vor den Beizen jeden Abend Trauben von lustigen Rauchenden bilden? Und wisst ihr, wie schwierig es für uns DJs ist, überhaupt noch eine Stimmung aufzubauen, wenn andauernd die eine Hälfte der Gastig vor der Tür steht und sich die andere nach der nächsten Zigi sehnt? Und wie sehr schwitzende Menschen stinken, wenn nicht der Rauchgeruch alles freundlich verhüllt? Wisst ihr nicht, weil ihr seid ja nie da! Würden nur diejenigen über Rauchverbote abstimmen dürfen, die tatsächlich jede Woche, sagen wir, 150 Stutz in Beizen und Clubs liegen lassen, was glaubt ihr, wie die Resultate dann aussähen? Stattdessen kam eben die Initiative der Lungenliga-Missionare zustande, die auch kleinen Beizen jeden Rest unternehmerischer Freiheit und uns die letzten Refugien nehmen will – und ihr werdet aus lauter Missgunst auch die annehmen. Mir graut vor der schönen neuen stromlinienförmigen Welt, die ihr euch entwerft.

Diesen Text sowie ein Porträt über die Reussfähre und weitere Knellen in und um Luzern lesen Sie im aktuellen Kulturmagazin – am Kiosk und im Abo.