Reduktion vor Redaktion. Eine Reaktion

MAZ, Luzern, 09.04.2019: Reportagen über Leid, Liebe, Sehnsucht, Tod – Geschichten, die berühren. Erwin Koch, mehrfach ausgezeichnet für seine Texte, erzählte anlässlich der mit «Schreiben, was ist» titulierten Lesung von seinen Erfahrungen als Journalist und bot einen Blick hinter die Kulisse seines Schaffens.

Die Lesung fand an einem Dienstag, Beginn 19.00 Uhr, statt; eine Versammlung im kleinen Rahmen an der Murbacherstrasse 3, vierter Stock, «Belle Étage» nannte ihn Reto Schlatter, der den Abend leitete. Radikal reduziert auf die Fakten – so schreibt Erwin Koch, Schriftsteller und freischaffender Reporter aus Hitzkirch im Kanton Luzern. Unter dem Titel «Schreiben, was ist» las er eine Reportage und erzählte im anschliessenden Gespräch mit Amelie Gräf, Schreibtrainerin aus Hamburg, vom Recherchieren, Schreiben und Warten auf Antworten. Dies alles mit einer gehörigen Portion Selbstironie und Geschichten aus jahrelanger Erfahrung, die interessierten.

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Die von ihm auserwählte Reportage trägt den Titel «Das Schweigen der Eltern und der Berge». Sie handelt von Georgio, einem italienischstämmigen Urner, der von seinen sizilianischen Wurzeln erst in seiner späten Jugend erfährt. Es ist eine Geschichte über die Frage und verzweifelte Suche nach der eigenen Identität – ein Thema, das unter die Haut geht. Kochs Spezialität: Daten, Adressen, Ereignisse, kein Satz zu viel. «Der Inhalt ist tragisch genug», so der Autor, deshalb brauche es keine ausschmückenden Details im Text. Durch die Distanz, die er somit in seinen Reportagen schafft, gibt er der Leser*innenschaft gleichzeitig genügend Freiraum, sich eigene Gedanken zu machen.

«Tonbändli-Abtippen ist das Schlimmste»

Moderatorin Gräf und dem Publikum stand er dabei Rede und Antwort: überlegt, direkt, selbstsicher, sympathisch. Doch aller Einfachheit und Lässigkeit zum Trotz: «Ich bin ein komplizierter Schreiber». Sagt Koch über sich selbst und wünscht, er wäre es nicht. «Das Schreiben sei ein ständiger Entscheidungsprozess» meint er und betont das A und O im Vornherein: Genügend Recherche, stundenlange Gespräche, langwierige Transkriptionen («Tonbändli-Abtippen ist das Schlimmste»). Erst dann beginne das Schreiben mit dem Entscheiden darüber, was für die Geschichte unabdingbar ist.

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Bild: MAZ/zvg

Thematisiert wird letztendlich nicht nur Kochs eigene Vorgehensweise, sondern auch die Infragestellung des Journalismus' im Hinblick auf die Relotius-Affäre:  «Können wir Reporter*innen noch glauben?» Koch spricht von einem Phänomen der Angst – davor, keine 100-prozentigen Wahrheiten zu veröffentlichen, was sich in den Redaktionen ausgebreitet zu haben scheine. Sind es nicht genau Reporter*innen, denen im «Fake-News»-Chaos unserer Zeit am meisten vertraut werden müsse? Gegen Ende des Abends stellen sich Fragen um Fragen aus dem Publikum, das gebannt an den Lippen des Reporters hängt. Doch Schluss jetzt, er müsse bald gehen, es ist bereits dunkel hinter den Fenstern im vierten Stock, Murbacherstrasse 3, an diesem Dienstagabend, 20.35 Uhr. Man ist gespannt auf seine nächsten Texte, die unter anderem in «Reportagen» und in «DIE ZEIT» veröffentlicht werden.