«... nur ist der Tod viel lauter still.» – DisTanz im Männliturm

Wenn Beatrice Im Obersteg und Markus Lauterburg gemeinsame Sache machen sind sie DisTanz. Und überzeugen eigentlich immer restlos. Vielleicht, weil sie niemandem mehr was beweisen müssen. Auch gestern, nach der Aufführung von «Isabella» im Männliturm, gab es Stimmen aus dem Publikum, die verkündeten: «Das war jetzt das erste Mal, dass ich einen Zugang fand zu zeitgenössischem Tanz».

Hoch oben auf dem Männliturm wacht seit dem 15. Jahrhundert die Halbfigur eines zwei Meter hohen geharnischten Kriegers mit Fähnchen und Schwert aus Eisenblech. Im Innern des mediävalen Bauwerk steht Isabella (Beatrice Im Obersteg), in einem weissen Kleid. Regungslos erst, bald aber wild hin und her geworfen von inneren K(r)ämpfen, zum perkussiven Sound von Markus Lauterburg, der mit allerlei Materialien Klänge erzeugt, von denen ich – ganz Kind der digitalen Generation – bis anhin überzeugt war, dass sie nur elektronisch erzeugbar sind. Isabella bewegt sich, wie es physikalisch gar nicht möglich ist, mithilfe von Rucksackbändeln, die von einem Holzrondell, über das ihr Kleid fällt, aus über ihre Schultern gespannt sind. Bis sie sich in einem Akt des Ausbruchs des Korsetts entledigt und mit spannungsvollen Bewegungen den Raum einzunehmen beginnt. Lauterburg dreht auf und schupps wird der Klangteppich auch schon wieder unter den Ohren weggezogen. Die dicken Bruchsteinmauern des Turmes schweigen, von der Stadt her heult die Ambulanz. Autos hupen, geben Gas. Glocken bimmeln. Scheu und verstört schleicht Isabella die Treppe hoch, wo der zweite Akt des Stücks stattfinden wird. Isabella liegt am Boden. Vor ihr ein Schirmskelett, von dem zig Glasscherben herabhängen. Metallene Zahnräder tönen xylophonhaft. Isabella greift nach dem Requisit. Perfektes Zusammenspiel mit dem Licht. Die Splitter werfen wirbelnde Schatten auf den Boden. Der Konflikt ist einem verträumten Wahnsinn gewichen, die Einsamkeit projiziert eine Parallelwelt. Der Turm, als Gefängnis des Körpers, wird zum Spielplatz der Seele. Im obersten geschlossenen Raum folgt der dritte Akt. Isabella, mehr Überlebende denn Lebende, ringt mit ihrem weissen Kleid, das genau so beengend scheint wie das gemauerte Verlies. Hat sie es beinahe geschafft, das Ding über den Kopf zu ziehen, steckt sie bereits wieder mit dem ganzen Körper drin. Mit letzter Energie reüssiert sie mit einem endgültigen Versuch, schwebt die lange Treppe hoch, entschwindet unserer Blicke. Ein Geist ihrer Vergangenheit, gefesselt von Erinnerungen aus einer Zeit, die nicht rückrufbar ist. Lauterburg verstummt, eine tiefe Männerstimme füllt den Raum mit einem Gedicht von Beatrice Im Obersteg, das so endet: «... Beide tönen gleich ... nur ist der Tod viel lauter still. Abschied ist hörbar. Als ich in der nacht meinen Atem hörte, wusste ich, dass du wirklich gegangen bist.»

Weitere Vorstellungen: SA 19. Juni, 17 und 20.30 Uhr, SO 20. Juni, 11 und 17 Uhr, Männliturm, Museggmauer. Wegen beschränkter Platzanzahl Reservation empfohlen: 076 453 70 36