Läss. Laut. Läss. – Lydia Lunch im Sedel

Nach langer Weil beehrte eine Legende die Leuchtenstadt wieder: Lydia Lunch. Das Konzert war kurz, aber gross. Und laut.

(Von Girafo Gondolfsky, Bilder: Mister Sedel himself – Heinz Pal)

Lydia Lunch, Underground-Legende aus New York, mag älteren Semestern in bester Erinnerung sein von ihrem Auftritt in der Boa, vor etwa 15 Jahren: Wer sie damals gesehen, im Sedel nun aber verpasst hat, dem sei gesagt: Alles war ganz anders. Nun mag der Autor sich natürlich des Boa-Konzerts nicht mehr im Detail entsinnen, schliesslich fands in den wilden Neunzigern statt – und was von den Siebzigern gesagt wird, gilt auch für dieses ach so tolle und freie Jahrzehnt: Wer sich klar erinnern kann, war gar nicht dabei. Weit hinten dräut die Erinnerung an Wildheit, Perversion, Rausch und nicht zu vergessen natürlich das unsägliche Grrlz-Zeug, ohne das es damals nicht zu gehen schien. Lunch hat diese fragwürdige Entwicklung aber damals schon pervetiert, ihr ironisch jede herkömmliche Aussagekraft genommen – und sie dadurch auch aufgeklärteren ZeitgenossInnen erträglich gemacht. Wie nun also war das Konzert im Sedel? Wie gesagt: ganz anders. Da war nix mehr von wildem Perverso-Girlie, auch die Stimme ist gereift, rau und tief kommt sie daher, keine Spur mehr von Mädchenhaftem.

Eine grosse Sängerin war Lydia Lunch noch nie, doch betreibt sie seit Langem auch Spoken Word – entsprechend vielfältig und sorgfältig ausgearbeitet sind die Texte, und sehr direkt: «I got another man coming while my bed is still warm» – «Your love don’t pay my fuckin’ rent». Die einzelnen Lieder laufen meist nach ähnlichem Muster ab: Ihre Band, Gallon Drunk (James Johnston, Ian White, Terry Edward), stellt mit Gitarre (Fender Jaguar und Jazzmaster), Keyboard, Schlagzeug und gelegentlichem Saxofon ein deftiges Rockbett parat, in das sich Lunch mit viel Elan und grossem stimmlichem Einsatz unter Inanspruchnahme etlicher Register wirft – die Musik durchwegs tanzbar, laut, roh und mitreissend, dem Titel der neusten Platte gerecht werdend: Big Sexy Noise! Sängerin wie Band gebärden sich dabei mit grossem Enthusiasmus, auch der Umstand, dass eigenartig wenig Leute den Weg auf den Berg fanden, vermochte an der überbordenden Spielfreude nichts zu ändern. Dazwischen so launige wie deftige Ansagen und Anekdoten – es war wirklich ein grosser Spass, der aber leider nach etwas über einer Stunde schon sein Ende fand. Es lohnt sich, Lydia Lunch auf YouTube zu suchen: Ihr Werdegang wie auch ihre verblüffende Vielseitigkeit sind dort ausführlich dokumentiert.