Läck, sind die gut! – Chadbourne und Lovens in der Industriestrasse

Natürlich hätte auch Pirelli gern im Sedel den Bon Scott gefeiert. Aber Chadbourne spielte in der Industrie, und nach langer Überlegung gewannen die Boa-Gene. Und siehe da: Es ward gut. Richtig gut.

 

Made in Mind im Alpineum, Doran in der Bar 59, Get Well Soon in der Schüür, Premiere von «Rose is a rose is a rose is a rose» im UG, DJ Jim in der Gewerbi, und im Sedel zelebrierten die Luzerner Rock-All-Stars den Tod von Bon Scott … es war unanständig viel los am Freitag, Luzern gab sich veranstaltungsmässig wieder richtig grossstädtisch, man hätte sich vierteilen oder zumindest klonen lassen wollen. Als Boa-Veteran blieb mir aber kaum eine andere Wahl, als in den Keller der Insutriestrasse 9 zu gehen, dort spielte Eugene Chadbourne auf, der einen doch schon etliche Male in der Boa-Bar beglückt hatte; und ein Konzert in der Industrie, früher einer der Hotspots hiesigen Kulturtreibens, ist sowieso immer läss. Und siehe da: Man war nicht allein mit diesem Entscheid, der Keller war richtig gut gefüllt.

Auf der Bühne also Eugene Chadbourne, sitzend, mit alter, abgefuckter Gibson vor einem kleinen Fender-Amp, daneben Paul Lovens, deutschstämmiger Drummer, zwei sehr charmante Herren fortgeschrittenen Alters. Chadbourne ist ein begnadeter Picker, die Gibson ist ausnehmend basslastig eingestellt, und Lovens spielt zwar ein sehr kleines, dünnes Drumset, hat aber die auch von Fredy Studer bekannte, verblüffend satte Gretsch-Minibassdrum – man hat E- oder Kontrabass keine Sekunde vermisst.

Chadbourne singt Eigenkompositionen wie auch alte, bekannte Countrynummern, zum Beispiel Gram Parsons wunderschönes «Hickory Wind» mit nachhaltigem Schmelz, hält sich aber nie lang in einem musikalischen Lingo auf, sondern wechselt wild zwischen den Stilen – verblüffend, wie virtuos der Kerl doch ist. Hendrix’ «Purple Haze» wird plötzlich zu «Foxy Lady», aus dem sich ein zarter Walzer entwickelt, der sich schliesslich zum Free-Jazz-Gewitter wandelt, das nicht aufhören will und den Keller kochen lässt. Lovens daneben der absolut auf Chadbournes Eskapaden eingestellte, äusserst aufmerksame Begleiter – selten hat man eine solche Einheit gehört, gepaart mit überbordender Spielfreude, durchgängige, hoch konzentrierte, aber doch immer lockere Kommunikation. Chadbourne fasste die Kollaboration so zusammen: «He drinks all the alcohol, I smoke all the weed – I like that arrangement.»

Das Banjo, bei Chadbournes Soloauftritten sonst dominant, bleibt diesmal lange liegen und wird nur sparsam eingesetzt – was ich anfänglich etwas bedauerte, dann aber anerkennend feststellen musste, dass ich noch kaum je einen Gitarristen mit so überwältigender Soundvielfalt gehört habe, und das lediglich mit einer einzelnen Tretmine, einem Verzerrer, und eben dem kleinen Transistor-Fender. Ich weiss nicht, wie er das macht. Beeindruckend ists auf jeden Fall, wie mühelos die beiden sich aus der ganzen U-Musik-Trickkiste bedienen, welche Präsenz sie aufbauen – und wie locker aufdringliche betrunkene Fotografen noch mit Drumsticks beworfen werden können. Nächstes Mal halte ich mehr Abstand, versprochen.

Chadbournes Eigenkompositionen sind mal politisch («Don’t Burn the Flag, Let’s Burn the Bush» zum Beispiel hiess eine seiner alten Hymnen), dann wieder eigentümelnde Alltagsbetrachtungen, sind schräg und aufwendig getextet – doch wiewohl die Verständlichkeit akustisch durchgehend gegeben gewesen wäre, war mir die musikalische Vielfalt zu gross, als dass ich den Lyrics auch noch hätte folgen können. Chadbourne fing als Rock’n’Roller an, erweiterte dann sein Spektrum aber früh um Country, Bluegrass, Blues, Free Jazz und Noise und fügt nun alle Stile zu einer wunderbaren neuen Einheit, ohne je eklektizistisch zu wirken; grosse Virtuosität mit Augenzwinkern, ohne je plöfferisch zu sein. Und das alles mit dieser Uralt-Solid-Body-Gibson, meist in Standardstimmung, durchgängig einen Zwei-Saiten-Bottleneck am kleinen Finger – seine Technik ist so eigen wie seine Fusion der Stilrichtungen.

Ein Highlight also, und noch dazu an einem schönen Ort: Man wünscht sich bald wieder ein Konzert in diesem Keller. Und das nächste Mal bitte nicht an Bon Scotts Todestag.