Kuba im Kopf

Galerie Vitrine, Luzern, 10.03.2018: Die Galeristin Evelyne Walker widmet der 25-Jährigen Carla María Bellido ihre erste Einzelausstellung mit dem Namen «Play Dirty» in Europa. Null41.ch hat die kubanische Künstlerin vor der Vernissage getroffen und mit ihr über ihre Arbeit und die sich wandelnde Kunstszene in Kuba gesprochen.

«Play Dirty» bezieht sich auf das Leben in Kuba und ein System, in welchem alle auf der Suche nach Schlupflöchern sind, um zu überleben und mehr Geld zu verdienen. Diese Lebensart steht im Kontrast zu dem, was die Regierung der Bevölkerung verspricht: Alles sei gut, man solle sich zurücklehnen und entspannen. Um diese Wechselwirkung des schmutzigen Spiels und Komfort geht es in in den ausgestellten Malereien der Künstlerin. Die mit Öl auf Leinwände gemalten Ruhestätten wie Sofas, Kissen oder bequem hochgelegte Füsse sollen Betrachtende zu mehr Gelassenheit animieren. Es geht um das zugrundeliegende Konzept von Komfort. Eine Art der Lebensführung und den Wunsch nach einem besseren Leben, denn «die Menschen sind müde vom Kampf gegen das System». Die Bevölkerung Kubas ist auf illegale Geschäfte und Verhaltensweisen angewiesen. Das sogenannte «Resolver problemas» ist anstrengend.

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In der Galerie an der Stiftstrasse 4 in Luzern hängen Malereien verschiedener Formate. Eine der grösseren zieht durch ihre surrealen, auf den ersten Blick erfunden erscheinenden Unterkörper von Frauen in Miniröcken die Aufmerksamkeit auf sich. Aber im Gegensatz zu den Surrealisten bildet die Kubanerin keinen Traum, sondern die Realität ab. Bei den abgeschnittenen Frauenkörpern handelt es sich um die vom Japaner Makoto Igarashib 2004 entwickelten «Hizamakura lap pillows». Auf diese Schoss-Kissen kann man bequem seinen Kopf betten und entspannen. Die Vorlage hat Bellido aus ihrem selbst angelegten Archiv aus gedownloadeten Bildern. Da der Internetzugang in Kuba auf öffentliche Plätze beschränkt ist, sucht sie nach spannenden Bildern im Netz und lädt diese runter, um später in ihrem Atelier in Havanna wieder darauf zurückzugreifen. Mit dieser Methode hat sie eine Sammlung aus existierenden und für sie faszinierenden Bildern zusammengetragen. Viele der abgebildeten Dinge kennt sie nicht aus ihrem direkten Umfeld, sondern nur durch den Bildschirm. Sie benennt ihre Arbeiten gerne nach den Internetlinks, über die man ihre Inspirationsquelle finden kann.

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Bellido spielt auf diesem Weg gekonnt mit Kontrasten und es gelingt ihr, dass Betrachtende an ihren Bildern aneckt. So bilden die Menschen und die Möbel als Ort, wo sie sich gerne aufhalten, schon einen Kontrast in sich, aber wenn eine Frau auf einem gemütlichen Sofa sitzt und unruhig, geradezu gequält aussieht; es entsteht eine in sich widersprüchliche Spannung. Bellido sieht sich nicht in erster Linie als Malerin, sondern als Künstlerin, die sich an unterschiedlichsten Medien und Bereichen bedient, die sie interessieren. Die Idee im Kopf bestimmt das Material und das Medium. Bei den ausgestellten Werken war die Malerei passend, da sie selber entspannt sein muss, um malen zu können. Alle Bilder sind mit dem Moment und der Stimmung verbunden, in denen sie entstanden sind. Das ist auch der Grund für die vielseitige Farbigkeit in ihren Malereien und die offensichtliche Beziehung zwischen dem Akt der Malerei und ihrem Leben in Kuba.

Nachdem die Künstlerin 2016 die Kunsthochschule abgeschlossen hat, war sie auf sich alleine gestellt. Ohne die Sicherheit der Institution musste sie sich ein Atelier suchen und Galerien finden, die mit ihr zusammenarbeiten wollen. Die Kunstszene in Havanna ist gut vernetzt und man besucht gegenseitig Ausstellungen, lässt sich inspirieren und ist in regem Kontakt untereinander. So entstehen auch viele Kollaborationen. Private Galerien erleben gerade einen Aufschwung und werden von den Künstler*innen den staatlichen vorgezogen, weil diese die Kunstszene besser kennen und man freier Arbeiten kann. Man hat mehr Möglichkeiten und die Galerien haben meist auch die besseren Kunden. Bellido findet, dass man in Kuba als Künstler*in relativ frei arbeiten kann, da die Regierung nachsichtiger mit ihnen umgeht, als sie es mit anderen Berufsfeldern tut.

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Hier in der Schweiz fand die Künstlerin Menschen vor, die entgegen ihren Erwartungen sehr aufgeschlossen und offen sind. Dass sich alles um die Zeit dreht und Bevölkerung und Züge immer pünktlich sind, findet sie faszinierend; das sei der grösste Unterschied zu ihrer Heimatstadt Havanna. Bellido freut sich darauf, in einer Woche wieder dahin zurückzufliegen. Das Wiedersehen mit der Galeristin Evelyne Walker muss aber nicht allzu lange warten. Denn sie ist gerade dabei, ein grosses Projekt auf die Beine zu stellen, welches den Austausch von kubanischer und Schweizer Kunst ermöglicht. Ernesto Rodriguez Conzàlez, Rudy Rubio Rodriguez und Carla María Bellido haben bereits letzten Sommer an der ersten kubanischen Gruppenausstellung «¡Hola Cuba!» in der Galerie Vitrine ausgestellt. Die Kollaboration entstand, als die Galeristin 2016 nach Kuba reiste, um Kunsthochschulen in der Hauptstadt und den Provinzen zu besuchen. Was sie vorfand, begeisterte sie und durch ihr grosses Engagement konnten letzten Sommer sieben Künstler und Carla María Bellido in ihrer Galerie ausstellen.

Genauso wie es sich lohnt, die Ausstellung in der Galerie Vitrine zu besuchen, sollte man ein Auge auf die kubanische Kunstszene werfen. 2001 gab Holly Block, die ehemalige Direktorin des Bronx Museums in New York,  das Handbuch «Art Cuba. The New Generation» heraus. Damit löste sie unter Museen, Sammlern und Kurator*innen in Amerika ein breites Interesse an zeitgenössischer kubanischer Kunst aus. Aber auch Europa hinkt nicht hinterher. Die Ludwig-Stiftung eröffnete letzten September im Ludwig-Forum in Aachen die Gruppenschau «Kunst x Kuba. Zeitgenössische Positionen seit 1989» und trägt damit dazu bei, dass sich Kubas Kunstszene langsam öffnet und sich der Welt ausserhalb der Insel zeigt.

Noch bis am 21. April 2018 in der Galerie Vitrine