Klaus Kinskis JESUS CHRISTUS ERLÖSER im Stattkino

Die Schweizerpremiere von Peter Geyers Film «Jesus Christus Erlöser», der Kinskis legendären Auftritt (und misslungenen Auftakt zu einer Welttournee) in der Deutschlandhalle in Berlin erstmals in voller Länge zeigt, nahm gestern im Stattkino Luzern Platz. Das Filmdokument führt einen exzentrischen, abgewrackten Kinski vor, der in einem Pyjamaanzug eine Melange aus Evangeliumzitaten, sowie eigenen Texten und Auslegungen spricht. Mit Theologie hat das bedeutend weniger zu tun als mit sackstarker Literatur, tiefem Textvertrauen und begnadetem Bühnenspiel.

Auch Kinski hatte sein Kreuz zu tragen. Die wenigsten der mehreren tausend Zuschauer waren an diesem 20. November 1971 gekommen, weil sie hören wollten, was der gealterte Schauspieler, der bestimmt schon bessere Zeiten erlebt hatte, vortrug. Sie gierten nach dem Choleriker, dem jähzornigen Berserker. Versuchten diesen mit allen Mitteln aus dem Performer herauszulocken, bloss um ihn danach in 68-er Nostalgie als Faschisten zu bezeichnen. Das war halt der Zeitgeist. Jeder Idiot glaubte, überall mitreden zu müssen – an der Lesung enterten irgendwelche Schwachsinnige die Bühne, um Kinski Inkongruenz zwischen seiner Predigt und seinem Verhalten vorzuwerfen – und man bezeichnete jeden, der einem nicht in den Kram passte, als Faschisten. Dass das alles reine Inszenierung war, begriffen die wenigsten. Seit wann müssen denn bitteschön Schauspieler und Theatertext auch im Privatleben harmonieren? Und doch - gerade die Spannung zwischen Gesagtem und Gelebtem bringt eine abscheuliche Energie ins Spiel. Bei Kinski ist die Situation halt schon besonders, weil er seine Texte in einer derartigen Intensität bringt, dass man sie ihm vorbehaltslos abnimmt. Man erinnere sich an die frühen Villon-Lesungen oder sehe sich irgendeinen beliebigen Film mit ihm an – beispielsweise als er den Anarchisten in «Doktor Schiwago» mimt, in der einzigen Szene dieses sonst so unglaublich langweiligen Films, die einem in Erinnerung bleibt. Der gestern gezeigte Film jedoch, ist ein einzigartiges Zeitdokument und Kunstwerk. Der Regisseur und Nachlassverwalter Kinskis, Peter Geyer, schnitt ihn in siebenjähriger Arbeit aus diversen einzelnen originalen Ton- und Filmdokumenten zusammen. Er zeigt den abendlangen Versuch Kinskis, einen 30-seitigen Text zu rezitieren, ohne dabei vom Pöbel unterbrochen zu werden. Nach dreimaligen von der Bühne gehen und wiederkommen gelingt ihm das, vor einem versprengten Grüppchen Ausharrender, morgens um zwei. Die Kombination von Text und Performer ist eine Wucht. Brachial schneidet sich die Komposition aus neutestamentarischen und Kinskis eigenen Texten in die Wahrnehmung des Zuschauers. Auch heute noch. Obschon der Film die meiste Zeit eine Person aus zwei, drei verschiedenen Perspektiven zeigt – vielleicht auch gerade darum – wird es keine Sekunde langweilig. Ich bin gefesselt, berührt und es schmerzt mich. Kinski so kaputt zu sehen, das infame Publikum. In seinen Memoiren «Ich brauche Liebe» schrieb der Schauspieler über diesen Abend: «Das ist ja wie vor 200o Jahren. Dieses Gesindel ist noch beschissener als die Pharisäer. Die haben Jesus wenigstens ausreden lassen, bevor sie ihn angenagelt haben.» Anschliessend gabs noch ne Podiumsdiskussion mit Theologen und Kulturschaffenden, unter Einbezug eines erstaunlich redefreudigen Publikums. War ganz okay, hätte man sich jedoch trotzdem sparen können. Kunst steht besser für sich allein und soll nicht vereinnahmt werden. Das ist meine Meinung dazu.

Der Film wird noch einmal im Stattkino gezeigt und zwar am Mittwoch, dem 2. Dezember 2009. Eine einmalige Gelegenheit – ergreife sie!