Huiuiui! Augen, Ohren und Glieder kommen ins Schwitzen

Freitag, 2.12.: In Sursee gastierten Molotow Brass Orkestar und versetzten das Kulturwerk118 in fiebrig-östliche Hochstimmung.

(Von Gianni Walther)

Unglücklicherweise ist das Kulturwerk118 an diesem Abend nicht sehr gut besucht. Vor dem Lokal sind die üblichen Rauchergrüppchen zu sehen. Zwar äussern sich viele BesucherInnen abfällig über den ungewohnten Regen, doch sind sie sichtlich erfreut über die wärmeren Temperaturen, die das Rauchen im Herbst um einiges angenehmer machen. Von drinnen sind für einmal eher ungewohnte, östliche Klänge zu hören. Laute Klänge, keine Konservenmusik. Strassenmusiker spielen auf in der Bar und umrahmen das Konzert auf der Bühne mit eher sanfteren Stücken. Sie sehen müde aus, wahrscheinlich von der Reise. Die Stimmung ist gut. Jedenfalls unter den Zuhörern. Das Akkordeon jedoch könnte wieder mal eine Überholung vertragen. Ich lasse mich davon aber nicht weiter stören, denn die Musiker betören mich mit ihrem Charme. Ich beobachte auch andere Zuhörer, die gebannt auf das Quintett schauen. Sie sind Strassenmusiker, sie wissen, wie man mit dem Publikum spielt. Das Konzert von Molotow Brass Orkestar beginnt. Von der ersten Sekunde an werde ich von ihnen eingenommen. Die fünf Jungs kommen nach und nach auf die Bühne und legen los, stellen sich sozusagen vor. Unterstützt – was sage ich unterstützt? –, geführt werden die fünf Bläser von einer absoluten Powerfrau an den Drums. Da gibt es also viele Schlagzeuger, die sich von Marianne Graber eine Scheibe abschneiden könnten. Virtuos und genau wie eine Atomuhr gibt sie den Takt vor und holt die fünf Herren nach ihrem ekstatischen Soli wieder auf den Boden zurück. Und solieren kann sie natürlich auch! «Schweizer Volkslieder kombiniert mit osteuropäischer Zigeunermusik? Ska gespielt von klassisch ausgebildeten Musikern?», schreibt die Band fragend auf ihrer Homepage. Ein Erfolgsrezept. Die klassische Ausbildung ist während jeder Sekunde des Konzerts zu hören. Extrem starkes und genaues Zusammenspiel und beinahe blindes Verständnis sind zu hören und auch zu sehen. Mit einer einfachen und witzigen Choreografie bietet die Band auch etwas fürs Auge – falls man einmal müde werden sollte von der sehr dichten und teilweise extrem schnellen Musik. Und ganz klassisch gibt es auch eine Pause. Dem Publikum gefällts. Tanzwut beschreibt die Szenerie, die sich mir bietet, ziemlich gut. Obwohl ich keine Menschen sehe, denen Schaum aus dem Mund quillt. Die Leute lassen sich treiben, springen wild hin und her, schwitzen. Den Durst löschen viele an der Shotbar, die eigens für diesen Anlass im Konzertsaal aufgestellt wurde. Die Band unterbricht das normale Konzerttreiben mit skurrilen Einlagen. Plötzlich ist eine Kuhglocke zu hören, ein Alphorn erscheint, Hühnergegacker wird nachgeahmt. Toll. So oder so durfte man nicht damit rechnen, den ganzen Abend nur östliche Töne und Ska zu hören. Die Band experimentiert extrem. Auch bekannte Schweizer Volkslieder werden nicht verschont. Ich bin entzückt!