Heute Hornbrille, morgen Schlaghose? – Raphael Saadiq am Blue Balls Festival

Aufgrund der Todesnachricht von Amy Winehouse begleitete eine leichte Bitterkeit den gestrigen Abend des Blue Balls im KKL. Neben Liebe ist gerade das Thema Schmerz elementar für Soul-Musik. Statt Soul regierte jedoch eher Mitmach-Helau.

(Von Emel Ilter)

Raphael Saadiq, Jahrgang 1966, hat sich die schwarze Musik der 60er über Luft und Nahrung einverleibt. Bereits Anfang der 90er-Jahre hat er mit der Formation Tony! Toni! Toné! seinen Status als musikalisches Bookmark gesetzt. Die darauf folgenden Jahre zeigten immer mehr die Fähigkeiten des Multitalents; nicht nur als Sänger und Musiker, sondern auch als Produzent von Hiphop-/Soul-Grössen wie Mary J. Blige, John Legend, Joss Stone und vielen mehr. Als junger Musiker tourte er als Bassist von Prince durch Amerika. Ob Prince ihn beeinflusst haben mag? Den Ehrgeiz beim Musizieren, Komponieren, Produzieren und das Prinzip «Markenzeichen statt musikalischer Sackgasse» mag er von ihm haben. «Ich will mich nicht spezialisieren. Zu mir gehört es, offen zu bleiben für alles, was mich inspiriert. Ich kann auch zu diesem Zeitpunkt nicht sagen, was mein nächstes Projekt sein wird.» (Saadiq im Interview) Nach einer Phase an R’n’B-Music wie mit Lucy Pearl Ende der 90er sorgte Saadiq 2008 mit dem Album «The Way I See It» erneut für Umschwung im eigenen Hause. Zu Gast war diesmal der 60ies-Sound der Motown-Stadt Detroit inklusive entsprechendem Outfit für die Bühne. Mit dem aktuellen Studioalbum «Stone Rollin’» wendet sich Saadiq hingegen mehr dem Groove der Südstaaten oder – je nach Perspektive – der Chess-Records-Stadt Chicago zu. «Für mich ist meine Musik kein Trend. Dazu bin ich schon viel zu lange im Geschäft. Für meinen Erfolg brauche ich keinen Trend, dem ich folgen muss.» (Saadiq im Interview) Der Konzertsaal des KKL war gestern Abend gut, aber locker gefüllt. Saadiq und Band stürzten sich in den Abend mit einem durchschlagenden «Pretty Woman»-ähnlichen Intro und holten die Menge gleich ab. Die Nachricht über den Tod von Amy Winehouse kam gestern für einige Konzertbesucher so überraschend, dass sie die Widmung von Saadiq zu Beginn des Konzerts («This is for Amy!») nicht auf Anhieb verstanden haben mögen. Mit Tempo ging es über in «Stone Rollin’» und der erste Jubel war somit einkassiert. Hits wie «Let’s Take a Walk» oder «Sure Hope You Mean It» erfreuten nicht minder weibliche Grüppchen, von denen freudiges Mit-Schnippen ausging. Der Smartness von Herrn Saadiq war eh kaum zu widerstehen. Die Laune kippte jedoch relativ schnell. Die Songs wurden mehr und mehr ausgedehnt und Saadiq versuchte über längere Strecken das Publikum zum Mitmachen zu animieren. «Say ‹Heart Attack›!» Selbe Masche bei fast jedem Song. Entweder Mitsingen oder Mitklatschen. Ab einem bestimmten Punkt wurde das mühsam, weil die Songs ihre Geschlossenheit aufgaben und die Performance ihre Intensität verlor. Die Backings waren präzise, aber eindeutig zu männlich. Die weibliche Komponente in Form von Erika Jerry fehlte ohne Zweifel, ebenso die Energie, die diese Dame verkörpert. Sie hätte für den nötigen Ausgleich gesorgt. Nach einer sehr knappen Stunde war die Show zu Ende. Zuvor liess Saadiq die Menge eine gefühlte Viertelstunde «Let The Sunshine In» von «5th Dimension» singen. Das war dann der Höhepunkt an Mitmach-Urlaubs-Animation, während der eigentliche Höhepunkt ausblieb. Als Saadiq dann auch noch die Zugabe verweigerte, reagierte das Publikum mit einem bösen Pfeifkonzert. Ob das gerechtfertigt war, ist fragwürdig. Es sollte bekannt sein, dass so ein Blue-Balls-Abend einen strengen Zeitplan einzuhalten hat. Bevor Saadiq die Bühne verliess, machte er genau darauf aufmerksam, indem er auf seine Armbanduhr hinwies. Vielleicht sprach viel eher die allgemeine Unzufriedenheit aus den Besuchern. Wenn man seit über 20 Jahren ein Bühnenleben lebt, ignoriert jemand wie Saadiq ab einem gewissen Punkt womöglich den Blick von aussen, für den er doch nur ein Trend zu sein vermag. Heute Hornbrille, morgen Schlaghose?