Happy Birthday to Me

Südpol, Kriens, 16.03.2018: Bestechende Gemeinsamkeiten mit früheren Stücken sind hochprozentiger Alkohol und etwas zu essen. Der Schweizer Künstler Oliver Roth geht mit seinem Team der absurden Frage der Zeitschenkung nach und verpackt sie als Geschenk an das Publikum.

Fotos: Nelly Rodriguez

Im Südpol in Kriens wird man von den Performer*innen Oliver Roth, Demian Jakob und Valentine Paley auf Deutsch und Englisch begrüsst. Zu Ehren von Roths Geburtstag wird dem Publikum offiziell Zeit für sich geschenkt. Ein angenehmer Kontrast zur schnelllebigen Zeit, wo man laut modernen Standards zur freiwilligen Selbstausbeutung verdammt ist und auch seine Freizeit produktiv gestalten muss. Die Wahrscheinlichkeit, dass unter den Gästen auch jemand Geburtstag hat, ist gross, daher soll die «Vorführung» ein Fest für alle sein – ohne Druck, denn niemand steht im Mittelpunkt.

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Nachdem Jacke und Schuhe an der Garderobe zurückgelassen wurden, macht man es sich auf einer warmen, fliederfarbenen Insel in der Mitte des Raumes gemütlich. Für den Schweizer Künstler Roth entsteht ab diesem Moment eine Skulptur analog eines skulpturalen Denkvorganges über das Publikum als Material, welches sich durch Darsteller*innen und Objekte langsam, aber sicher zu etwas formt. Roth weist darauf hin, dass genau zwei Stunden Zeit geschenkt werden – nicht mehr und nicht weniger. Ein projizierter Blumenstrauss läutet den Countdown ein: 2:00:00. Nach einigen Sekunden verschwindet er wieder und gemütliche Musik erklingt. Die Zuschauer*innen sitzen erwartungsvoll auf ihren Plätzen, schauen sich ihre direkten Nachbar*innen an und rutschen auf den weissen Kissen herum.

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Das Spiel beginnt, indem sich die Performerin und ausgebildete Tänzerin Paley zum Gabentempel aus hell ausgeleuchtetem Spielzeug begibt und anschliessend genau zu überlegen scheint, welches das passende ist. Sie entscheidet sich für eine Zaubertafel – eine Art spezielles Zeichenbrett – und überreicht sie einem Mann, der in der Mitte sitzt. Alle schauen gebannt zu, wie er das bestehende Bild löscht und zu zeichnen beginnt. Dann werden nach und nach mehr Spielsachen verteilt und der Fokus auf das jeweils eigene gelenkt. Es sind Objekte, die alle im Raum kennen. Eine Barbie, Slime, Magnetkugeln, Legoteile, Puzzles und andere bunte Dinge. Doch passiert bereits wieder Neues: Einer Frau wird Champagner geschenkt. Sie teilt ihn grosszügig, Gläser gehen von Mund zu Mund, derweil  jemand sich lieber in die Foto-Lovestory der Zeitschrift «Mädchen» vertieft hat und das Geschehene kaum mitbekommt.

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Man beobachtet, spielt zusammen und beginnt Gespräche mit den Nachbar*innen, tauscht die Plätze. Die Musik und das Licht werden geschickt eingesetzt, um das Publikum wieder auf das Programm aufmerksam zu machen. Der Performer und Musiker Jakob hat sich derweil in die Mitte gesetzt und hält einen alten Rekorder in der Hand. Eine Kinderstimme fragt auf Englisch, wann wir uns das erste Mal alt gefühlt hätten. Eine Reihe von Fragen über das Leben, den Tod und die Welt. Man hört aufmerksam zu und denkt über die Fragen nach. Einige antworten. Mal nur für sich, mal so, dass es alle hören, bis eine kritische Diskussion entsteht. Dann ein Bruch, und die Stimmung wird durch bunte Luftballons wieder unbeschwert.

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Dem Künstler Roth sind Traditionen wichtig. Auch wenn sie durch ihre Regeln und Normen Druck ausüben können, gibt es sie nicht ohne Grund. Sie sind Gefässe, um Bezüge zur Kultur und Gesellschaft zu schaffen. Im Falle des Geburtstages wird das Bewusstsein hervorgerufen, dass man älter wird. Es knallt und Glitzerkonfetti regnet auf die Spielenden nieder. Konventionelle Geburtstagstraditionen unterbrechen die Gäste ab und zu; eine Ansprache über das Älterwerden von Roth, eine kleine Zaubershow, Tanzen und Karaoke. Zusammen wird «Viva forever» gesungen und im Takt gewippt. Ein interaktives Theater ohne Müssen oder sich zu sehr als Mittelpunkt zu fühlen. Unter den Zuschauer*innen entsteht ein gemeinschaftliches Gefühl, denn alle sind in einem Boot, auf dieser Insel, zwei Stunden lang. Die gesellschaftlichen Ansprüche und Konventionen des Geburtstags wurden zu genügen befriedigt und Paley holt alle in kleinem Kreise zu sich und hält eine emotionale, impulsive Dankesrede. Sie schaut jeder und jedem einzeln in die Augen und sagt «I love you». Zusammen wird «Happy Death-Day» angestimmt, denn Paley erzählt uns, dass der Todestag in östlichen Religionen wichtiger ist, als der Geburtstag.

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Der Höhepunkt des Stücks ist eine doppelstöckige Torte mit Kerze, die wie von Zauberhand plötzlich in der Mitte der Insel steht. Die meisten der Besucher*innen waren so vertieft ins Karaoke-Singen, dass ihnen entgangen ist, dass sie von Jakob hineingetragen wurde. Vor dem Anschneiden muss gesungen werden und es stellt sich heraus, dass tatsächlich jemand der Gäste Geburtstag hat. Oliver Roths Geburtstagparty wurde zu der von Vera. Die Zuschauer*innen bilden den Inhalt des Stücks, ohne dass das mühsam oder anstrengend wird. Es handelt sich nicht um ein klassisches Improvisations-Theater, denn die Performer*innen hatten beim Proben meist Gäste dabei und so wurden sie Profis in Sachen Geburtstagsvorstellungen. Das bietet viel Offenheit und macht es für die Künstler*innen zu einem spannenden Projekt. Die Produktion entstand, weil Roth merkte, wie seine Zeit immer knapper wurde. Er ist seit Kurzem Vater und im letzten Sommer 30 geworden. Das Älterwerden beschäftigt ihn, denn mit dreissig und vor allem dann, wenn man Eltern geworden ist, kann man sich nicht mehr zur jungen Generation zählen. «Me Time» ist ein Zustand der Versunkenheit in sich selbst, Dinge oder Momente. Für Roth ist es das nicht-zielgerichtete «rumnoschen» in seinen Sachen.

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Oliver Roth ist kein klassischer Performance-Künstler, sondern bewegt sich frei in den Bereichen Tanz, Theater, Performance und bildender Kunst. Sein Hintergrund als Historiker und Germanist macht sich vor allem im Entstehungsprozess von Stücken bemerkbar. Er recherchiert viel, liest sich in das Thema ein und formuliert Fragestellungen, die sich immer wieder adaptieren. Es geht um das Forschen und Dinge herausfinden – alles ist ein Resultat. Zur Performance kam er nach eigenen Aussagen, weil er lange im Theater gearbeitet und viel Musik gemacht hat. Im aktuellen Stück bekommen die Gäste noch Shots mit einer Wasserpistole in den Mund gespritzt, ohne dass dabei ein Bezug zur Hinrichtung von Soldaten in Syrien gemacht wird. Denn Roths Arbeiten sind nicht tagesaktuell oder realpolitisch, sondern beschäftigen sich mit grösseren, alten Themen wie Tod, Leben und dem Sinn davon.

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Nach dem Kuchenessen trifft das ein, was an Geburtstagen immer passiert, wenn der Pflichtteil vorbei ist; man redet noch ein wenig, schaut auf die Uhr, es herrscht Aufbruchsstimmung. Als die letzten Sekunden des Countdowns sichtbar werden, trifft es einen doch unerwartet, als man gebeten wird, den Raum zu verlassen. Man möchte nicht sofort gehen und hat das Bedürfnis, sich von jedem einzelnen zu verabschieden.

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Es wurde keine Zeit geschenkt, aber auch nicht gestohlen. Als Gast hat man zwei Stunden in guter Gesellschaft mit Trinken, Essen, Spielen, Singen und Tanzen verbracht und kam sich dabei nicht vor, als hätte man seine Zeit vergeudet. Ein Theaterbesuch wird von unserer Gesellschaft hoch angerechnet und so konnte man quasi im offiziellen Rahmen tagträumen, einfach mal da sein – ohne Leistungsdruck. Es lohnt sich auf jeden Fall, das Stück zu besuchen, am besten alleine, um so etwas Alltägliches wie einen Geburtstag in einem anderen Kontext mitzuerleben und vielleicht einen anderen Blick auf diese Tradition zu gewinnen. Happy Birthday to Us! Happy Birthday to Me! 

 

Das Stück kann am 23. und 24. März 2018 im Roxy-Theater in Birsfelden und vom 4. bis 6. Mai 2018 in Zürich im Rahmen von «Zürich tanzt» im Cabaret Voltaire besucht werden.

«Me Time»; von und mit Oliver Roth in Zusammenarbeit mit Thomas Giger, Silja Gruner, Jessica Huber, Demian Jakob, Valentine Paley, Martin Schick & Miriam Coretta Schulte Produktion Big Time Production