Gurzuf: das Ungeheuer von Minsk

Nichts da, Handorgel und Trommel. Monströses Akkordeon neben atemberaubendem Schlagwerk – so klang der Donnerstagabend in der Schüür, wenn es laut wurde.

(Von Nick Furrer)

Gurzuf ist in zweiter Linie eine Siedlung und Kurort an der Südküste der Krim – irgendwo am nördlichen Schwarzen Meer also. Gurzuf meint, zumindest hierzulande, bereits vermehrt das Duo aus Weissrussland. Das hat damit zu tun, dass sie durch Gigs im Sedel und am B-Sides-Festival eine nachhaltige Verbindung zu Luzern pflegen konnten. Der gestrige Slot in der Schüür bleibt wiederum nicht das einzige Schweizer Konzert und machte dem wöchentlichen Donnerspass alle Ehre. Von der Figur des «Haderi» im Vorprogramm darf man sich hier gerne seine eigene Meinung bilden. Nach ihm wurde kein Wort mehr geredet. Das war auch nicht nötig. Wie im Interview auf Radio 3fach angekündet, bevorzugt Egor Zabelov von Gurzuf die universelle Sprache seines Instruments. Das Zeug dazu scheint in seiner Familie verwurzelt. Vom Grossvater zum Vater zu ihm wucherte die Leidenschaft zum Akkordeon durch die Generationen. Sämtliche Stile wurden darauf gespielt und geübt, bis Egor seine eigene Art entwickelte. Um die Klangwelt kräftig zu unterstützen, fand er in Artem Zalessky seinen Drummer. So sassen sie, mit ein paar Samples und Bodendrückern bewaffnet auf der Schüürbühne – Donnerwetter!

Gurzuf mögen die Idee der Bildsprache, die durch ihre Musik entsteht. So schossen einem von Anfang an ganze Fotoalben durchs Gehirn. Selbst wenn man Russland (im Falle von Gurzuf Weissrussland) noch nie am eigenen Leib erfahren konnte, fühlte man das Stück Heimat, welches die beiden unscheinbaren Herren mitschleppten. In den ruhigeren Abschnitten drückte das Akkordeon mit aller Sehnsucht auf die Brust, Yann Tiersen hätte es nicht besser gekonnt. Wenige Atemzüge später wurde man wieder von kargen Rhythmen überwältigt, die wie ein eisiges Monster über einem zusammenbrachen. Stets mit dieser grausamen Intensität, die bei Gurzuf allgegenwärtig war. An dieser Stelle darf man getrost den konstant bombastischen Drumsound bejubeln, auf den man sich in der Schüür schlicht und einfach verlassen kann. Nach Konzertmitte und dem beeindruckenden Solostück Egors folgte der eine oder andere langatmigere Part, was man der Vollständigkeit halber erwähnen sollte. Alles in allem überzeugte das weissrussische Zweigespann aber praktisch durchs Band: Ausgeklügelte Rhythmen jagten die Harmonien über dissonantes Gefilde – mit einer beissenden Präzision. Die brachialen Parts blieben bei aller Gewalt vielseitig emotional, nicht zuletzt dank der Sensibilität der beiden Musiker. Ein einziger Fiebertraum, der irgendwie Spass machte. Fast schon kindlich wirkten sie, als sie sich zum Schluss am Bühnenrand wiederfanden. Mit dem Satz «Tomorrow we play in Bern. Please Welcome!» hinterliessen sie einen dankbaren und äusserst sympathischen Eindruck.