Freie Sicht aufs Mittelmeer!

Hier folgt wie angedroht die Fortsetzung von Vorangegangenem. Oder anders gesagt: Tag 3 und 4 der heurigen Stanser Musiktage. Mit Neapolitanischem, Südfranzösischem, Multikulti-World und aber auch Berner Latin-Sause. Heimliches Motto: Freie Sicht aufs Mittelmeer!

Das Dorf wird, Tendenz anziehend, wieder geflutet von viel Volk aus dem näheren Einzugsgebiet wie von Fern (Luzern). Und überall Musik, jene aus den Zelten draussen laut und deutlich vernehmbar.

Dienstag, Kollegi St. Fidelis. Der Saal ist voll für Lina Sastri, die mit sechsköpfigem Ensemble angereist ist. Was für eine Stimme! Welche Präsenz! (Sastri ist auch Schauspielerin) Die Diva aus Napoli erscheint im feuerroten Kleid, der Vortrag ist ein Zwischending von authentisch im Folk-Sinn und inszenierter Performance. Und es stellt sich die hier nicht beantwortete Frage: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Inbrunst und Innigkeit? Sastri singt auf Neapolitanisch, das heisst im für uns kaum bis gar nicht verständlichen italienischen Idiom. Aber generell gilt ja hier, dass die Emotionen angesprochen werden (notgedrungen, wenn wirs nicht verstehen). Piano, Akkordeon, Kontrabass, Perkussion, Violine und akustische Gitarre sind am Werk und bereiten den Boden, über dem das intensive Singen der Sastri abhebt. Festival-Host Kutti MC wird jeweils zu Beginn per Video von Backstage zugeschaltet (natürlich Fake), um dann auf der Bühne zu erscheinen und einzuführen. Das ist immer originell und sozusagen auch poetisch, nur reimtheoretisch ist Kutti am Dienstag etwas abgeirrt mit der flowenden Behauptung, «Sastri» reime sich auf «Napoli». Gut, immerhin ein Buchstabe.

Weiter im Text bzw. Kollegi am Mittwoch: Moussu T e lei Jovents verraten schon im Namen, dass da zur Abwechslung jemand nicht aus der frankophonen Metropole Paris nach Stans gereist ist. Die vier inklusive dem sitzenden Sänger Moussu T, allesamt im blauen (Matrosen-?)Hemd, kommen aus der Nähe von Marseille, dem mediterranen Melting-Pot vom Mittelmeer her. Und die Originalsprache, die einst sogar drohte, Nationalsprache zu werden, die sie da reden (und eben: singen), ist das Okzitanische. Aber auch das erdig-kehlige Französisch von Moussu T ist schwer verständlich. Aber eigensinnig ist diese Musik mit zweimal Perkussion (manchmal noch Megafon), eingespielten Bassspuren, Banjo/Gitarren und Gesang, provenzalischer Folk klingt an, dann wirds massiv mit Rock’n’Roll, und Gitarrist Blu dreht seinen Orange-Verstärker gern auf Stufe 11. Aussergewöhnlich und gut das Gesamte. Im Theater an der Mürg spielen Oneira. Sechs aus Frankreich, dem Iran, Griechenland haben sich zum Gemeinsamen zusammengefunden, interpretieren Musik vom Mittelmeerischen bis hin zum Orientalischen. Die leicht schräg in der Vertikalen gespielte Flöte Ney kommt bei Oneira ebenso zum Einsatz wie die elektronisch aufgepimpte Drehleier, dazu vielfältige Perkussion, eine blendend gespielte Gitarre und zwei Frauenstimmen. Ein Blick ins Latin-Zelt auf dem Weg zum Bahnhof. Schmidi Schmidhauser (Stop The Shoppers) und seine 8-köpfige Truppe machen Party. Eigene Mundartstücke und Cover von Klassikern im Latin-, um nicht zu sagen Salsa-Gewand. Chica Torpedo empfehlen sich als Fuehr-garantierende Topkapelle für Feste. Hier hat sich das Mittelmeer-Motto der diesjährigen Stanser Musiktage ins Karibische erweitert. Noch eine linguistische Frage zum heutigen Schluss: Was bedeutet der Name des beim Kollegi stationierten Zelt-Restaurants «Mediterrano»? Ging da nicht ein Buchstabe vergessen? Welcher?