Errare humanum est – Die ovidschen «Metamorphosen» im Theater Pavillon

Mit «Metamorphosen» präsentiert der Theaterclub der PHZ Luzern die bereits siebte bühnenreife Aufführung seit 2004 im Theater Pavillon Luzern. Ein Abend voller Verwandlungen und eine Irrfahrt durch die römisch-griechische Mythologie führt dem Publikum die Freuden und Abgründe des menschlichen Daseins vor Augen.

(Von Simon Meienberg)

Vor dem Meer und der Erd’ und dem allumschliessenden Himmel, War im ganzen Bezirk der Natur ein einziger Anblick, Chaos genannt, ein roher und ungeordneter Klumpen: Nichts mehr, als untätige Last, nur zusammengewirrte Und misshellige Samen der nicht einträchtigen Dinge. Ovid: Metamorphoses 1, 2 – Die Schöpfung (Vers 5–9), übersetzt von J. H. Voss (1798) Inspirationsquelle der Inszenierung von Reto Ambauen sind die antiken «Metamorphoseon libri» von Ovid, die 15 Bücher der Verwandlung (ca. 3–8 n. Chr.), die auch aus heutiger Sicht keineswegs an ihrer Gültigkeit eingebüsst haben. In insgesamt neun Episoden aus dem ovidschen Sagenschatz erzählen die 20 Protagonisten des PHZ-Ensembles die Geschichte der Entstehung der Welt, von der Frage nach dem Sinn des Seins, bis hin zu den innersten menschlichen Beweggründen. So wird das Publikum gleich im ersten Akt in die Welt des reichen Königs Midas entführt. Um sich der Weisheit des Silenus zu bemächtigen, stellt Midas dem Unglücklichen eine Falle, worauf Bacchus, ein Lehrling von Silenus, den Meister durch die Erfüllung eines Wunsches bei Midas freikaufen muss. Dieser wünscht sich, dass alles, was er berühre zu Gold werde, dabei hat er natürlich nicht bedacht, dass er damit seinen sicheren Hungertod besiegelte. Letztlich bereut der Sündiger – ganz nach moralischem Vorbild – und begibt sich auf Geheiss von Bacchus zum Fluss Paktolos am anderen Ende der Welt, um den goldenen Fluch von sich ab zu waschen. Ein Exempel für die uns innewohnende Habgier? Die Dekadenz der menschlichen Moral war offenbar schon in der Antike eine bekanntes Phänomen. Wir sind Sklaven unseres irrationalen Wesens, werden geleitet von niederen Instinkten und Trieben, sind verbunden mit der Fehlbarkeit. Eben, errare humanum est – Irren ist menschlich. Auch die folgenden acht Sagen enden vorwiegend im Tod oder Trauer. Davor sind auch Eros und Psyche, Traumpaar der Götterwelt, nicht gefeit. Oder Ceyx, der von Poseidon auf den Meeresgrund geschickt wird. Hätte er doch auf seine Geliebte Alkyone gehört. Das Gros aller Liebesgeschichten endet ja bekanntlich dramatisch, das verkauft sich nun mal besser. Trotzdem gibt es durchaus Lichtblicke und komische Momente, in denen das Publikum in ungezwungenes Gelächter ausbricht. Vom Ensemble gesungene Chorstücke im Versmass des Hexameters verleihen dem teils tragischen, teils komischen Stück den passenden antiken Beigeschmack. Begleitet von den theatralischen Klängen des Pianos (Kompositionen: Christov Rolla), kann sich der Zuhörer ganz aufs Musikalische konzentrieren, die Texte in Latein versteht man mit grösster Wahrscheinlichkeit sowieso nicht. Die Kostüme (Anna Maria Glaudemans Andreina) und das Bühnenbild (Gratschi Jud) sind in moderner Schlichtheit gehalten und ohne grossen Aufwand kombinier- und veränderbar. Für die Darstellung des Tempels genügen vier modulierbare Säulen aus Holz, und der quadratische Pool in der Mitte der Bühne ist Schauplatz von diversen Handlungen. Insgesamt stellen die engagierten Studierenden eine moderne, dem Zeitgeist entsprechende Interpretation der Metamorphosen Ovids dar und das, zu meiner Verwunderung, im für die Dramatik eher ungewohnten Schweizer Dialekt. Natürlich darf oder muss das auch mal bewusst als Kunstsprache eingesetzt werden – gottlob kein Griechisch –, aber es entzieht dem Stück automatisch die nötige Ernsthaftigkeit. Das Publikum stört sich jedenfalls nicht daran.